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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Schultern.
    »Bestimmt. Bereits als er im Wasser hing, wusste er, dass sein Leben verwirkt war.«
    Marianne nickte stumm. Doch in Tonis Augen hatte die Hoffnung auf Rettung gelegen und sonst nichts.
    *
    Einige Tage später saß Marianne vor einem kleinen Lagerfeuer und stocherte lustlos in ihrem Gemüseeintopf herum. Eigentlich sollte sie hungrig sein, denn seit dem Morgen hatte sie nichts mehr gegessen und Fredl den ganzen Tag beim Zubereiten der Speisen geholfen. Aber ihr Magen war wie zugeschnürt. Bald würde sie Anderl wiedersehen oder von seinem Tod erfahren.
    Heute hatten sich die Männer aufgeteilt und mehrere kleinere Feuer entzündet, die wie helle Punkte zwischen den kahlen Bäumen schimmerten. Überall wurde gelacht, einige Männer musizierten und sangen. Sie waren guter Dinge, denn morgen würden sie Rosenheim erreichen und diesen Winter nicht mehr mit den Booten rausfahren. Sie konnten heimkehren, in ihre Dörfer und zu ihren Familien, falls es diese noch gab. Der Krieg hatte seine Schrecken noch nicht verloren, und die Menschen würden für lange Zeit seine Nachwehen spüren.
    Marianne stellte die Schale neben sich und wickelte sich fester in ihren Umhang. Es war zwar trocken, aber recht kalt. Die Nächte verbrachte sie auf ihrem Schlafplatz im Laderaum der Funkelzille. Sie war froh darüber, nicht unter freiem Himmel oder in einem Zelt schlafen zu müssen, genoss inzwischen sogar das sanfte Schaukeln des Bootes und lauschte nachts den Wellen, wie sie gegen das Holz schlugen.
    Was würde sie tun, wenn Anderl tot war? Rasch schob sie den Gedanken beiseite. Sie hatte sich in den letzten Tagen das Wiedersehen in den schönsten Farben ausgemalt, wie er sie strahlend vor Freude umarmte und küsste. Bestimmt hielt er sich in der Brauerei auf. Und wenn dort immer noch dieser schreckliche Josef war, dann hatte Pater Franz Anderl gewiss zu sich genommen. Er würde Johannes in der Küche zur Hand gehen und die Gartenarbeit erledigen, und vielleicht könnte er sogar in den Orden eintreten. Er wäre ein guter Mönch, und im Kloster würde niemand auf ihm herumhacken.
    Doch was würde aus ihr werden? Diese Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Sie war das Pestkind, eine Geächtete, die alle verspotteten und mieden. In Rosenheim gab es keinen Platz für sie und hatte nie wirklich einen gegeben. Wehmütig blickte sie in die Flammen.
    Daran hatte sie bei ihrem abrupten Aufbruch aus dem Schwedenlager nicht gedacht. Dort wäre sie versorgt gewesen. Auch wenn Albert tot war, hätte sich Anna Margarethe um sie gekümmert.
    Es war schon seltsam. Voller Angst hatte sie vor wenigen Monaten, die ihr heute wie ein ganzes Leben vorkamen, auf dem Karren zwischen Hühnern gesessen und die Stadt in eine ungewisse Zukunft verlassen, und jetzt wurde sie sich plötzlich klar darüber, dass sie die Sicherheit ihres neuen Lebens einfach so aufgegeben hatte. Nur Anderl und ihr Liebeskummer waren wichtig gewesen.
    »Morgen erreichen wir Rosenheim, und du machst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter«, sagte Alois. Überrascht blickte Marianne auf. Sie hatte den Schiffsmeister nicht kommen hören.
    Er setzte sich neben sie.
    »Was betrübt dich so?«
    Marianne atmete tief durch.
    »Ich weiß nicht, was mich erwartet. Ist Anderl am Leben, ist er tot? Ehrlich gesagt beginne ich mich langsam zu fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, im Tross zu bleiben.«
    Alois war erstaunt.
    »Bei den Schweden?«
    Marianne nickte.
    »Sie sind nicht böse. Ich habe unter ihnen viele Freunde gefunden, und im Tross sind auch nicht alle Schweden. Von überall her sind die Menschen gekommen. Die unterschiedlichen Dialekte und Sprachen waren nicht immer einfach, aber irgendwie funktionierte die Verständigung.«
    Der Schiffsmeister musterte Marianne überrascht. So begeistert hatte er das Mädchen, das er bisher nur ernst, traurig oder in Not erlebt hatte, noch nie gesehen.
    »Es gab Marketender, die mit allem Möglichen handelten. Eine davon war meine Freundin, Milli. Eine unglaublich liebenswerte Frau. Die Männer scharten sich abends um deren Stände, und Wein und Bier flossen in Strömen. Der ganze Tross war wie eine Stadt, und es gab sogar einen Profos und einen Trosswaibl, die für Recht und Ordnung sorgten.«
    Alois nickte.
    »Davon habe ich auch schon gehört. Einer der Reiter hat eine Weile unter Wrangel in der Infanterie gedient. Er sagte, dass es stets sehr gesittet zuging und sogar die Huren ihren eigenen Lagerplatz zugewiesen bekommen

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