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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Eugenie folgten ihr. Ungläubig blickte sich Marianne um, während sie sich setzte.
    Noch nie war sie in einem so eleganten Wagen gefahren. Die Sitze waren gepolstert und mit feinstem Samt bezogen. An den Fenstern waren mit weißen Spitzen verzierte Vorhänge angebracht worden, und auf dem Boden lag ein flauschiger Teppich. Andere Frauen im Lager waren krank oder schwanger, trugen kleine Kinder und zogen schwere Karren hinter sich her. Diese Frauen hätten die Fahrt in dem noblen Wagen viel mehr verdient.
    Der Kutscher trieb die Pferde an, und ruckelnd setzte sich das Gefährt in Bewegung. Geschickt fädelte sich der Mann in die lange Reihe der Karren und Kutschen ein, und bald erreichten sie eine breite Straße, die linker Hand am Fluss entlangführte.
    Eugenie und Helene unterhielten sich über die neueste Pariser Mode, während Marianne aus dem Fenster blickte. Am Horizont war die Silhouette der Berge zu sehen. Sie hatte gar nicht gewusst, wie wichtig ihr deren Anblick tatsächlich war. Erst jetzt stellte sie fest, dass die Berge ein Teil von ihr und ihrer Seele waren, genauso wie die Giebel und Dächer Rosenheims und der Inn mit seinem grünen Wasser.
    Sie musste sich zusammenreißen, denn was sollten die anderen von ihr denken, wenn sie weinte. Verstohlen wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
    Doch Eugenie war nicht nur lustig, sondern auch sehr sensibel. »Geht es dir gut, ma chère? Du siehst traurig aus.« Marianne versuchte zu lächeln und nickte.
    »Ist alles gut.«
    Eugenie beäugte sie skeptisch, und auch Helene wurde jetzt auf Marianne aufmerksam.
    »Lüge nie eine Französin an.« Eugenie hob mahnend ihren Zeigefinger. »Ich sehen dir an die Nasenspitze an, dass etwas stimmen nicht.«
    Helene wirkte besorgt, doch im Gegensatz zu Eugenie ahnte sie bereits, was mit Marianne los war.
    »Du hast Heimweh, oder?« Helene deutete nach draußen.
    Marianne nickte und blickte betreten zu Boden.
    Eugenie neigte den Kopf zur Seite.
    »Heimweh? Was ist das?« Sie sah die beiden mit so einem verwunderten Gesichtsausdruck an, dass sogar Marianne lachen musste.
    Sie lachten alle drei so laut, dass sich ein Reiter, der an ihrer Kutsche vorbeikam, verwundert umdrehte.
    Helene wischte sich die Tränen aus den Augen.
    »Marianne vermisst ihr Zuhause«, erklärte sie und zwinkerte Marianne zu. »Sie war noch nie so weit fort.«
    Eugenie nickte, jetzt hatte sie verstanden.
    »Das ist aber eigentlich nicht komisch.« Sie zog die Augenbrauen hoch.
    Erneut lachte Marianne laut auf. Bei dem Gesichtsausdruck der Französin konnte sie einfach nicht ernst bleiben, und auf einmal fühlte sie sich wohl und geborgen. Sie lehnte sich zurück und genoss den weichen Stoff der Kissen, der ihre Wange sanft streichelte. Zum ersten Mal seit langem hatte sie das Gefühl, irgendwo dazuzugehören, und das war so schön, dass sie es selbst kaum glauben konnte.
    Später machte sich bei allen das frühe Aufstehen bemerkbar, und sie dösten ein, auch Marianne fiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie hin und wieder unsanft gerissen wurde, wenn die Straße gar zu schlecht war und sie durch Schlaglöcher oder über große Wurzeln fuhren. Die Luft in der Kutsche war stickig. Irgendwann begann es in ihrem Kopf zu hämmern. Sie hatte ihre Sitzbank für sich allein und legte sich seitlich auf die Bank, schob eines der weichen Kissen unter den Kopf und hoffte, die Fahrt irgendwie zu überstehen.
    Eugenie und Helene schienen die unsanften Stöße und die schlechte Luft nichts auszumachen. Irgendwann gewöhnt man sich wahrscheinlich an das Ruckeln, dachte Marianne, starrte auf den Boden und versuchte zu ignorieren, dass das Muster des Teppichs vor ihren Augen zu tanzen begann.
     
    »Marianne, ma chère. Du musst stehen auf. Wir sind angekommen.« Eugenies Stimme schien von weit her zu kommen. Marianne öffnete die Augen, blickte auf den Teppichboden der Kutsche und fühlte eine Hand, die an ihrer Schulter rüttelte.
    »Du hast so hübsch geschlafen.« Die Französin lächelte sie an.
    Marianne rieb sich die Augen und blickte sich um.
    »Wo sind wir denn?«
    Eugenie winkte ab.
    »Irgendwo in die Nirgendwo. Wir schlagen hier auf die Nachtlager.«
    Marianne streckte sich. Zu ihren Kopfschmerzen waren jetzt auch noch Rückenschmerzen gekommen.
    Sie stiegen aus.
    Verblüfft blickte sich Marianne auf der weitläufigen Wiese um. Kutschen und Wagen standen kreuz und quer durcheinander. Zeltstangen wurden aufgestellt, Planen ausgerollt und

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