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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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würden sie ihm bald eine standesgemäße Braut an die Seite stellen, ein Mädchen, das besser zu ihm passte als ein einfaches bayerisches Waisenkind.
    Sie legte ein Tuch über ihre Schultern und trat aus dem Zelt.
    Langsam schritt sie durch den Feldherrenhof, schlich geduckt hinter einigen Büschen an den Wachen vorbei, die sich die Zeit mit Kartenspielen vertrieben, und rannte dann zwischen den wahllos aufgestellten Zelten und provisorischen Verschlägen des bunten Trosses hindurch. Musiker spielten auf ihren Geigen, ein Mädchen mit glockenklarer Stimme sang dazu, und einige Jungen liefen laut lachend, Holzschwerter in den Händen, an ihr vorbei. Als sie den oberen Rand des Lagers erreicht hatte, wurde sie langsamer. Hier war es ruhiger, und nur noch vereinzelt waren Nachtlager zwischen den Bäumen und Büschen zu erkennen. Langsam versank der Tag in Dunkelheit, und schon bald würde man hier draußen nicht mal mehr die Hand vor Augen erkennen.
    Sie ging eine Anhöhe hinauf und durchquerte ein kleines Wäldchen. Irgendwie hatte sie die Orientierung verloren. Plötzlich fielen ihr die Geschichten von Wanderern ein, die oft im Gasthaus Unterschlupf gesucht hatten, dass Wölfe in den Wäldern ihr Unwesen trieben. Marianne wusste nicht einmal, wie ein Wolf aussah. Wie große graue Hunde wurden sie beschrieben, und ihre Zähne waren angeblich so riesig, dass sie einen Menschen mit einem Biss zerfleischen konnten. Unsicher blieb sie stehen und blickte zurück. Um sie herum knackte es im Unterholz. Doch dann straffte sie die Schultern und ging weiter. Sie war losgegangen, also würde sie auch weiterlaufen, denn Anderl brauchte sie. Es gab kein Zurück mehr.
    Kurz darauf öffnete sich der Wald, und der Fluss lag vor ihr. Abrupt blieb sie stehen. Der Inn war auch hier breiter als normal. Im Dämmerlicht wirkte er eher grau und hatte seinen grünen Glanz verloren. Einige Enten schwammen in Ufernähe. Marianne schritt auf das Ufer zu, blieb stehen und atmete den Geruch des Wassers ein. Boote waren nicht zu sehen, und am anderen Ufer landeten zwei Schwäne sacht im Wasser und ließen sich mit der Strömung treiben. Die Worte von Alois, dem Schiffsmeister, kamen ihr in den Sinn. Der Fluss war oft anders, doch sie mussten ihn nehmen, wie er war.
    Anders – daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Niemand kannte hier ihre Geschichte und wusste, dass sie die Pest überlebt hatte. Sie konnte neu beginnen, ohne Häme und Vorurteile, endlich sie selbst sein.
    »Marianne.«
    Marianne zuckte zusammen und drehte sich um. Albert stand ein Stück von ihr entfernt und sah sie ruhig an. Sofort schlug ihr Herz höher.
    »Was tust du denn allein hier draußen?«, fragte er und neigte den Kopf zur Seite.
    Sie antwortete nicht. Was sollte sie ihm sagen? Ich wollte fortlaufen, irgendwohin, wo mich die Wölfe fressen oder irgendwelche Wegelagerer töten? Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie dumm sie gewesen war.
    Er trat näher. Sein Blick wanderte von ihr zum Fluss. »Dieser Fluss beeindruckt mich. Er hat so etwas Geheimnisvolles. Ich habe schon viele Flüsse, Seen und Bachläufe gesehen, aber keiner von ihnen hatte so grünes Wasser wie dieser.«
    Marianne deutete ein Nicken an.
    Er setzte sich auf einen umgefallenen Baumstamm ans Ufer und begann damit, Kieselsteine ins Wasser zu werfen.
    Sie blieb stehen und nestelte unsicher an ihrem Schultertuch. Eine ganze Weile sagte keiner etwas.
    »Ich habe dir deine Heimat genommen, deswegen bist du fortgelaufen, nicht wahr?«
    Marianne sah ihn verwundert an. Mit so einer Frage hatte sie nicht gerechnet.
    »Du musst nichts sagen. Deine Augen erklären genug. In ihnen liegen so viel Trauer und Verzweiflung – und doch sind sie wunderschön. Ich könnte tagelang hineinblicken und darin versinken. Ich wollte das nicht, das musst du mir glauben.« Er sah Marianne an. Sie wirkte so zerbrechlich, unsagbar verletzt. Ihr Gesicht war in der Dunkelheit kaum noch zu erkennen. Er schüttelte den Kopf.
    »Was bin ich nur für ein Idiot. Vom ersten Moment an, als ich dich gesehen habe, wollte ich dich besitzen, dich beschützen und retten – mit mir nehmen und nie wieder loslassen. Du warst so bezaubernd damals in der Kirche und hast so unendlich viel Mut bewiesen und den Knaben verteidigt.«
    Marianne stiegen Tränen in die Augen. Verzweifelt wischte sie sie ab.
    »Und geholfen hat es ihm nichts«, flüsterte sie und ließ ihren Blick über den Inn schweifen.
    »Er wollte Innschifffahrer werden, frei sein wie die

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