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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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die uns nach Gottes Willen auferlegt w a ren, und müssten stattdessen nach unserem Tod weit schlimmere Qu a len erdulden.
    Obwohl niemand je wieder die alte Mem auch nur im Flüsterton eine Hexe zu nennen wagte, gab es e i nige, die ihre junge Nichte Anys, die bei ihr lebte und ihr bei Entbindungen sowie beim Anbau, Troc k nen und Mischen ihrer Tränklein half, schief a n schauten. Meine Stiefmutter war eine davon. In i h rem simplen Gemüt hegte Aphra Aberglauben in Hülle und Fülle und war allzeit bereit, an Himmel s zeichen oder Amulette oder Zaubertrank zu glauben. Sie näherte sich Anys mit einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht, ja vielleicht sogar mit etwas Neid. Ich war in meines Vaters Kate gewesen, als Anys mit einer Salbe g e gen verklebte Augen gekommen war, worunter mitunter alle Kleinen litten. Zu meiner Überraschung musste ich mit ansehen, wie Aphra ve r stohlen eine weit geöffnete Schere, die an ein Kreuz erinnerte, unter einem Stück Decke verbarg, das auf einem Stuhl lag. Den bot sie Anys zum Si t zen an. Nachdem Anys gegangen war, schalt ich sie deswegen, aber s ie zeigte mir den Hexenstein, den sie aufs Lager der Kinder gelegt hatte, und das im Türpfosten ve r steckte Salzfläschchen.
    »Sag, was du willst, Anna, aber für eine arme Waise spaziert dieses Mädel viel zu stolz herum«, hielt meine Stiefmutter dagegen. »Sie benimmt sich wie eine, die weitaus mehr weiß als wir.« Nun ja, meinte ich, so sei’s doch auch. Verstand sie denn nicht viel von Arzneien? Und profitierten wir denn nicht alle davon? Hatte uns Anys etwa nicht soeben eine Salbe gegen verklebte Augen vorbeigebracht, die den Kindern viel rascher die Schmerzen nehmen würde, als Aphra oder ich es könnten?
    Aphra zog nur eine Grimasse. »Du hast doch g e sehen, wie die Männer, alte und junge, um sie he r umschnüffeln. Wie um eine läufige Hündin. Du kannst das ja Arzneikunde nennen, aber meiner A n sicht nach braut sie dort in ihrer Kate mehr als nur Fruchtsäfte.«
    Ich wies darauf hin, dass man Männer wohl schwerlich verhexen müsse, damit sie sich für eine Frau interessieren, die so gut gebaut ist wie Anys und so ein hübsches Gesicht hat. Besonders wenn diese junge Frau weder Vater noch Brüder hat, um ihnen klarzumachen, wo sie ihre Augen haben sollen. Als mich Aphra bei diesen Worten finster ansah, hatte ich das Gefühl, ins Schwarze getro f fen zu haben.
    Aphra, die weder hübsch noch geistreich war, ha t te sich in eine Heirat mit meinem liederlichen Vater geschickt, nachdem sie die Sechsundzwanzig übe r schritten hatte, ohne dass ihr ein Besserer einen A n trag gemacht hätte. Da keiner von beiden große E r wartungen hegte, kamen sie leidlich mi t einander aus. Aphra genoss einen kräftigen Schluck fast so sehr wie mein Vater, und beide verbrachten ihr halbes Leben betrunken im Bett. Und doch sehnte sich Ap h ra meiner Ansicht nach noch immer tief im Herzen nach jener weiblichen Macht, die eine wie Anys au s üben könnte. Wie ließe sich sonst ihre Ablehnung gegen eine erkl ä ren, die ihr und ihren Kindern nur Gutes tat? Anys w ar eigenwillig, gewiss, und scherte sich nicht um die Regeln im Dorf, wo jeder jeden beobachtete, und doch gab es andere, weniger Au f richtige, die nicht so viel Missbilligung auf sich z o gen wie sie. Aphras Getuschel fand viele willige O h ren unter den Dor f bewohnern, und manchmal machte ich mir deshalb um Anys Sorgen.
    Ich ließ Mistress Mompellion weiter begeistert von der Wirksamkeit von Raute und Kamille erzä h len und beschäftigte mich mit dem Jäten von Disteln. Bei dieser mühsamen Arbeit muss man kräftig zi e hen, was bei Mistress Mompellion gern zu Oh n machtsanfällen führt, wenn sie sich zu lange vorn ü berbeugt. Schon bald ging ich in die Küche, um me i ne eigentliche Tagesarbeit zu beginnen, und ve r brachte die Vormittagsstunden mit dem Schrubben von Holzdielen und dem A b sanden von Zinn. Es gibt ja einige, die sich die Arbeit eines Hausmädchens als stumpfsinnigste Plackerei vorstellen, aber mir ist das nie so vo r gekommen. Sowohl im Pfarrhaus wie im großen Herrenhaus der Bradfords hat mir die Pflege schöner Dinge viel Freude gemacht. Wer in einer nackten Kate aufwächst und mit Holzlöffeln von groben Tellern isst, empfindet hundertfaches Ve r gnügen an winzigen Kleinigkeiten: das Gefühl, eine spiegelglatte, zierliche Porzellantasse in einem B e cken voller Seifenflocken unter den Händen zu h a ben, oder der Ledergeruch eines B u ches, sobald man

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