Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
Vom Netzwerk:
Totenhemd mehr.«
    Wegen der langen Nachtwache sollte ich auf Mi s ter Mompellions Geheiß heute Morgen nicht ins Pfar r haus kommen. »Ruh dich stattdessen aus«, sagte er, als er im Frühlicht unter der Türe stehen blieb. Ant e ros war die ganze Nacht im Garten angebunden gew e sen und hatte an dieser Stelle den Boden graslos g e stampft. Ich nickte, obwohl ich mir wenig Ruhe e r wartete. Man hatte mich für den Nachmittag zum Auftragen beim Diner ins Herrenhaus befohlen. Vorher müsste ich j e doch noch das Haus von unten bis oben schrubben und dann über die Verfügung von Mister Viccars’ Hinterlassenschaft bestimmen. Der Herr Pfarrer hob gerade seinen Fuß in den Steigb ü gel. Als hätte er meine Gedanken gelesen, hielt er inne, tätschelte das Pferd, wandte sich wieder mir zu, trat näher und meinte mit gedämpfter Stimme: »Was George Vi c cars’ Sachen anbelangt, so tätest du gut daran, seine Anweisungen zu befolgen.« Offensich t lich sah man mir mein Erstaunen an. Momentan war ich mir nicht sicher, worauf er anspielte. »Er riet, alles zu verbre n nen, und das könnte ein guter Rat sein.«
    Ich schrubbte immer noch auf Händen und Knien im Speicher die abgetretenen Bodendielen, als der erste Kunde von George Viccars an die Türe klopfte. Noch vor dem Offnen w usste ich, dass Anys Gowdie draußen stand. Anys war im Umgang mit Pflanzen und deren Extrakten g e schickt und wusste, wie man ihnen ihre duftenden Öle entzieht. Diese trug sie dann auf der Haut, sodass ihr immer ein angenehm leichter Duft von Sommerfrüchten und -blumen v o rausging. Trotz der Meinung, die im Dorfe allgemein über sie herrschte, hatte ich für Anys immer Bewu n derung gehegt. Sie besaß einen raschen Verstand und eine ebensolche Zunge und war stets bereit, eine rüde Bemerkung auf jene witzige Art z u rechtzuweisen, wie sie unsereinem erst einfällt, nachdem die Bele i digung schon lange vorbei ist. Aber egal, wie berei t willig man über sie herzog, egal, wie viele Amulette sich die Leute in ihrer Gegenwart umhingen, im W o chenbett wollten nur wenige Frauen auf sie verzic h ten. Dort brachte sie eine liebenswürdig-ruhige Art mit sich, die im krassen Gegensatz zu ihrem scharfen Auftreten auf der Straße stand. Außerdem zeigte sie bei schwierigen Entbindungen eine Geschicklichkeit, auf die sich ihre Tante im Laufe der Zeit völlig ve r lassen hatte. Auch ich mochte sie, weil es ein gewi s ses Maß an Mut erfordert, sich so wenig um das G e flüster der Leute zu scheren, besonders in einem kleinen Flecken wie diesem.
    Sie schaute vorbei, um ein Kleid abzuholen, das George Viccars für sie gemacht hatte. Als ich ihr sagte, was ihm zugestoßen war, umwölkte sich ihr Gesicht vor Kummer. Und dann tat sie etwas Typ i sches: Sie schalt mich aus. »Warum hast du nicht meine Tante und mich geholt, anstatt Mo m pellion? Ein guter Aufguss hätte George mehr g e holfen als hohles Pfaffengemurmel.«
    Ich war daran gewöhnt, über Anys entsetzt zu sein, aber diesmal hatte sie es geschafft, sich selbst zu übertreffen. Ich war nicht nur über ihre offene Bla s phemie entsetzt, sondern auch über die Ve r trautheit, mit der sie von Mister Viccars sprach, den ich nie mit seinem Taufnamen gerufen hatte. Wie intim w a ren die beiden gewesen, dass sie ihn so nennen kon n te? Mein Argwohn verstärkte sich noch, als wir beim Durchsuchen des Felleisens, wo er seine Arbeit au f bewahrte, das Kleid fanden, das er für sie gemacht hatte. All meine Kindheitsjahre, in denen die Purit a ner hier das Sagen hatten, trugen wir als Oberkle i dung nur so genannte Trauerfarben: in erster L i nie Schwarz oder ein dunkles Braun, dessen Farbe »Tote Blätter« hieß. Seit der Rückkehr des Königs hatten sich zwar in die meisten Schränke allmählich wieder hellere Farben eingeschlichen, aber dennoch zügelte die lange Gewohnheit bei den meisten von uns die Auswahl. Nur bei Anys nicht. Sie hatte sich ein so grell scharlachrotes Kleid schneidern lassen, dass mir fast die Augen wehtaten. Da ich George Vi c cars nie daran arbeiten gesehen hatte, kam mir der Gedanke, ob er es aus Scheu vor einer diesbezüglichen Beme r kung meinetwegen bewusst vor mir verheimlicht ha t te. Bis auf den Saum war das Kleid fertig. De s wegen sei sie auch heute Morgen geko m men, meinte Anys, damit er ihn bei der letzten Anprobe abstecken kö n ne. Als sie das Kleid hochhielt, sah ich, dass der Ausschnitt so tief wie bei einer Mä t resse war. Jetzt konnte ich meine Gedanken nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher