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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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Nacht wieder einigermaßen wohlauf, Anna.« Ich hörte, wie der Griff des Buttermessers auf das Tellerchen des Obersts klapperte und er zischend die Luft anhielt. Ich hielt den Blick auf die Teller in meiner Hand g e senkt und wagte keinen einzigen verstohlenen Blick in seine Richtung. »Einigermaßen. Vielen Dank, Ma’am«, murmelte ich eilends und glitt weiter, um den nächsten Teller abzutragen. Ich befürchtete, sie würde weiter mit mir plaudern, wenn ich ihr noc h mals Gelegenheit dazu gab. Und dann träfe Oberst Bradford auf der Stelle der Schlag.
    Im Herrenhaus hatte ich gelernt, mich nur auf meine Pflichten zu konzentrieren und dem meist tr i vialen Gespräch keine Beachtung zu schenken. An solch einer großen Tafel gab es wenig allgemeine Konversation. Die meisten Leute wechselten Hö f lichkeitsfloskeln mit ihren unmittelbaren Sitznac h barn. Das Ergebnis war ein dumpfes Stimmengewirr, das Miss Bradford gelegentlich mit affektiertem L a chen unterbrach. Jedenfalls war dem so, als ich den Raum mit den Fleischtellern verließ. Als ich jedoch mit dem Dessert zurückkam, hatte man schon vor Anbruch der Dunkelheit alle Kerzen angezündet, und nur noch der junge Londoner redete, der neben Mistress Mompellion saß. Er gehörte zu jener Sorte feiner Herren, von denen wir in unserem kleinen Dorf nicht viele zu sehen bekommen. Er trug eine derart üppige und kunstvolle Perücke, d ass sein ziemlich verkniffenes, weiß gepudertes Gesicht unter der langen Lockenpracht fast verloren wirkte. Auf seiner rechten Wange saß ein Schönheitsfleck. Ve r mutlich hatte irgendeiner der Bra d fordschen Diener, der ihm beim Ankleiden behilflich gewesen war, nicht recht gewusst, wie man solche modischen Pflästerchen anklebt, denn bei jedem Bi s sen tanzte das Ding irritierend auf der Wange des jungen Ma n nes. Auf den ersten Blick war er mir ziemlich läche r lich erschienen, aber inzwischen wirkte er ernst. Bei jedem Wort flatterten seine Hä n de wie weiße Motten aus den Spitzenmanschetten und warfen lange Scha t ten über die Tafel. Ringsum schauten ihn blasse und entsetzte Gesichter an.
    »So etwas hat man auf den Straßen noch nie ges e hen. Unzählige Reiter, Kutschen und überquellende Ochsenkarren. Ich sage Ihnen, jeder, der im Stande ist, die Stadt zu verlassen, tut es oder hat es vor. Die Armen schlagen inzwischen auf Hampstead Heath Zelte auf. Wer unbedingt zu Fuß gehen muss, geht genau in der Straßenmitte, um den ansteckenden Ausdünstungen der Häuser zu entgehen. Wer die ä r meren Viertel durchqueren muss, bedeckt das G e sicht mit Masken, die an große Vogelschnäbel eri n nern und mit Kräutern gefüllt sind. Die Leute gehen wie betrunken durch die Straßen, wechseln von einer Straßenseite auf die andere, um an anderen Fußgä n gern nicht allzu dicht vorbeigehen zu müssen. Eine Droschke kommt leider auch nicht in Frage, da mit dem Atem des letzten Fahrgastes vielleicht die Krankheit zurückblieb.« Nun warf er einen Blick in die Runde und senkte die Stimme. Offensichtlich g e noss er die Aufmerksamkeit, die seine Worte fanden. »Angeblich soll man die Schreie der Sterbenden h ö ren können, die ganz allein in die mit roten Kreuzen markierten Häuser eingesperrt wurden. Die Gro ß mächtigen hält es nicht mehr am Ort, sage ich Ihnen. Es geht das Gerücht, der König plane die Verlegung seines Hofstaates nach Oxford. Ich für m eine Person zauderte nicht lange. Die Stadt en t leert sich so rasch, dass sowieso kaum mehr wichtige Gesellschaft übrig ist. Höchst selten entdeckt man noch einen Edlen mit Perücke oder eine vornehme Dame, denn weder Reichtum noch Beziehungen schützen vor der Pest.«
    Wie ein Amboss sauste das Wort nieder. Mir kam es vor, als würde es in dem strahlenden Raum dun k ler, als hätte jemand urplötzlich alle Kerzen auf ei n mal gelöscht. Um die Platte nicht fallen zu lassen, umklammerte ich sie mit beiden Händen und blieb stocksteif stehen, bis ich mein Gleichgewicht wi e dergefunden hatte. Ich sammelte mich und versuchte, wieder gleichmäßig zu atmen. Im Laufe meines L e bens hatte ich schon oft genug gesehen, wie Me n schen von Krankheiten dahingerafft worden waren. Neben der Pest gibt es noch vielerlei Fieber, das e i nen Menschen töten kann. Außerdem war George Viccars schon über ein Jahr nicht mehr in die Nähe von London gekommen. Wie konnte ihn da der Pes t hauch der Stadt gestreift haben?
    Oberst Bradford räusperte sich. »Na, na, Robert! Beunruhigen Sie nicht die

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