Das Pesttuch
Damen. Demnächst we r den sie noch aus Furcht vor Ansteckung Eure Gesel l schaft meiden!«
»Scherzen Sie nicht, Sir. An der Mautschranke nördlich von London stieß ich auf eine zornige Ho r de mit Mistgabeln, die jedem Reisenden aus London den Zutritt zu ihrem Dorf verwehrte. Da es sich s o wieso um einen üblen Ort handelte, an dem ich nicht einmal zu rabenschwarzer Nacht Zuflucht gesucht hätte, ritt ich unbelästigt weiter. Trotzdem wird sich binnen kurzem jeder, der sich als Londoner ausgibt, damit keinen Gefallen erweisen. Wir werden übe r rascht sein, wie viele von uns plötzlich ländliche Vorfahren erfinden werden. Sie werden noch an mich denken. Schon bald werden Sie erfahren, dass mein Hauptwohnsitz in den letzten Jahren Wetwang war, nicht Westminster.«
Daraufhin wurde es ein wenig unruhig, denn der Ort, über den sich der junge Mann mokierte, war um ein Erkleckliches größer als der, wo er momentan zu Gast war. »Nun, dann war’s ja gut, dass Sie rausg e kommen sind, was?«, sagte der Oberst, um den Fe h ler zu vertuschen. »Saubere Luft hier droben, kein fauliges Fieber.«
Ich bemerkte, wie die Mompellions viel sagende Blicke wechselten. Ich versuchte, meine zitternden Hände zu beruhigen, setzte die Dessertplatte ab und trat wieder in den Schatten an der Wand zurück. »Auch wenn man’s kaum glauben möchte«, fuhr der junge Mann fort, »aber einige wenige bleiben in der Stadt, obwohl sie die Möglichkeit zur Abreise hätten. Lord Radisson – ich denke, Seine Lordschaft ist hi n länglich bekannt – hat verbreiten lassen, er halte es für seine Pflicht zu bleiben und › ein Exempel zu st a tuieren^ Ein Exempel wofür? Für einen scheußlichen Tod?«
»Bedenken Sie Ihre Worte«, warf Mister Mompe l lion dazwischen. Seine Stimme – voll, laut, ernst – ließ das hohle Lachen der Bradfords verstummen. Der Oberst wandte sich mit erhobener Augenbraue ihm zu, als wolle er ihn wegen Unhöflichkeit tadeln, und Mistress. Bradford versuchte, ihr Kichern in Husten umzuwandeln. »Wenn alle, die die Möglic h keit haben, bei jedem Ausbruch dieser Krankheit d a vonlaufen«, fuhr Mister Mompellion fort, »dann wird die Pestsaat mit ihnen gehen und sich landauf, landab verteilen, bis auch die sauberen Orte angesteckt sind und die Seuche sich tausendfach vermehrt. Wenn Gott es für angebracht hielt, diese Geißel zu sch i cken, dann wäre es, glaube ich, Sein Wille, dass sich ihr jeder mutig an seinem bisherigen Platze stellt und damit das Übel begrenzt.«
»Ach?«, meinte der Oberst hochnäsig. »Und wenn Gott einen Löwen schickt, der Sie zerfleischen möc h te, werden Sie dann auch unverwandt stehen bleiben? Das glaube ich nicht.
Vermutlich werden Sie genau wie jeder vernünft i ge Mann vor dieser Gefahr davonlaufen.«
»Ihr Vergleich ist exzellent, Sir«, sagte Mister Mompellion. Seine Stimme hatte jenen energischen Unterton, den er immer auf der Kanzel einsetzte. »Wollen wir ihn mal untersuchen. Ich werde sicher stehen bleiben und mich dem Löwen stellen, wenn ich durch meine Flucht das Untier in die Nähe der Hütten von Unschuldigen bringen würde, die meinen Schutz brauchen.«
Als der Begriff Unschuldige fiel, flammte Jamies kleines Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Was, wenn der junge Londoner Recht hatte? Jamie hatte nur noch Augen und Ohren für George Viccars g e habt. Noch den ganzen Tag vor dem ersten Anze i chen der Krankheit war Jamie auf seinen Rücken g e klettert und hatte mit ihm herumgetollt.
Der junge Mann unterbrach das Schweigen, das nach Mister Mompellions Worten herrschte. »Nun ja, Sir, wacker pariert. Trotzdem muss ich Ihnen sagen, dass die besten Kenner dieser Krankheit – worunter die Ärzte und Bader zu zählen wären – besonders schnellfüßig die Stadt verlassen haben. Selbst wenn man einen ganzen Sovereign bezahlt, kann man sich nicht bei Husten schröpfen lassen oder bei einem Gichtanfall zur Ader gelassen werden. Die Herren Ärzte haben uns hier ein klares Rezept ausgestellt, das wie folgt lautet: Davonlaufen ist die beste Arznei gegen die Pest. Und ich für meine Person beabsicht i ge, dieses Rezept gewissenhaft zu befolgen.«
»Sie sagen › gewissenhaft ‹ , und doch halte ich I h re Wortwahl für unzutreffend«, entgegnete Mister Mompellion. »Wer von › gewissenhaft ‹ redet, muss sich vergegenwärtigen, dass Gott die Macht besitzt, uns in Gefahren zu bewahren oder uns von eben j e ner Gefahr ereilen zu lassen, egal, wie weit oder schnell wir
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