Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
Vom Netzwerk:
laufen.«
    »In der Tat, Sir. Und viele, die daran glaubten, fahren inzwischen auf dem Weg zu den großen Gr u ben als stinkender Leichnam durch die Stadt.« Miss Bradford hob eine Hand an die Braue und mimte demonstrativ eine Ohnmacht, aber ihre gierigen Bl i cke straften sie Lügen. Der junge Mann wandte sich ihr zu, erkannte ihre Lust nach düsteren Details und fuhr fort: »Das weiß ich von einem, der sich auf se i ner fruchtlosen Suche nach einem Verwandten ve r pflichtet fühlte, dorthin zu gehen. Nach seinem B e richt werden die Leichen einfach hineingekippt, g e nauso respektlos wie bei einem toten Hund. Eine L a ge Körper, darüber ein paar Schaufeln Erde, und da r auf dann noch mehr Körper. So liegen sie da, genau wie das Dessert dort drüben.« Er deutete auf den Schichtkuchen, den ich auf die Tafel gestellt hatte. Ich sah die Mompellions zusammenzucken, aber der junge Mann verzog über seine eigene Geschmackl o sigkeit nur höhnisch das Gesicht und wandte sich dann an den Herrn Pfarrer.
    »Und wissen Sie, Sir, wer hinter den Ärzten am schnellsten die Stadt verließ? Na, die anglikanischen Pfarrer, Ihresgleichen! Infolgedessen füllt sich ma n che Londoner Kanzel mit Nonkonformisten.«
    Mister Mompellion senkte den Blick. Eingehend musterte er seine Hände. »Wenn Ihre Worte tatsäc h lich wahr sind, Sir, dann tut mir das aufrichtig Leid. In diesem Falle sind meine Brüder im Glauben ta t sächlich schlechtere Menschen.« Seufzend schaute er seine Frau an. »Vielleicht glauben sie, Gott predige nun der Stadt, und ihr karges Gestammel könne dem Donnerwort des Allmächtigen nichts hinzusetzen?«
     
    In jener Nacht war Vollmond, was ein Glück war, denn sonst wäre ich sicher in einen Graben gefallen, wie ich so heimstolperte. Trotz meiner Erschöpfung rannte ich fast. Disteln zerkratzten mir die Fesseln, Dornen krallten sich in meinen Rock. Nur mühsam fand ich Worte für das Martin-Mädchen, als es s chlaftrunken neben dem Herd hochfuhr. Ich warf den Umhang ab und stürzte die Treppe hinauf. Die beiden kleinen Körper waren in einen silbrigen Lichtfleck getaucht. Beide Jungen atmeten leicht. Jamie hatte einen Arm um seinen Bruder gelegt. In entsetzlicher Angst vor dem, was mich erwarten könnte, legte ich ihm die flache Hand auf die Stirn. Sachte streiften meine Finger seine weiche Haut. Zum Glück war sie kühl.
    »Danke«, sagte ich, »oh, ich danke Dir, mein Gott.«

 
    Rattenplage
     
    Die Wochen nach George Viccars’ Tod leiteten den schönsten September ein, an den ich mich eri n nern kann. Es gibt Leute, denen diese Berggegend trostlos vorkommt, was ich sogar verstehen kann: das ganze Land von Bergleuten zerfressen, ihre Göpel wie Schafotte auf den Mooren, und ihre Halden, U n kraut bewachsenen Maulwurfshügeln gleich, im graulila Auf und Ab des Heidekrauts. Eine bunte Gegend ist das nicht. Unsere einzige kräftige Farbe ist Grün, aber das haben wir in jeder Schattierung: smarag d grüne Moospolster, glänzende Efeuranken, und im Frühjahr goldgrüne Grasschösslinge. Ansonsten b e wegen wir uns durch einen Flickenteppich aus Gra u tönen. Weiß-grau ist der Kalkstein, während der Sandstein, aus dem wir unsere Katen bauen, einen wärmeren gelb-gräulichen Ton hat. Grau ist hier die Himmelsfarbe, und auf den Hügelkämmen türmen sich die taubengrauen Wolken so dicht, dass man manchmal das Gefühl hat, man könnte einfach hi n aufgreifen und die Hände in ihrer Weichheit vergr a ben.
    Aber diese Herbstwochen waren ganz ungewohnt von Sonnenschein durchflutet. Der Himmel war fast täglich strahlend blau, und statt eines Hauchs von Frost blieb die Luft warm und trocken. Ich war so erleichtert, dass Jamie und Tom nicht krank waren, dass ich in jenen Tagen in einer Art Hochstimmung lebte. Jamie hingegen war bedrückt, weil er seinen lieben Freund George Viccars verloren hatte. Den Tod seines Vaters hatte er, um ehrlich zu sein, leic h ter verkraftet. Da Sam die meisten Stunden, in denen Jamie wach war, drunten in der Grube gewesen war, hatten die beiden nur wenig Zeit gemeinsam ve r bracht. George Viccars aber war in den wenigen M o naten, die er mit uns gelebt hatte, ein unentbehrlicher Gefährte geworden, dessen Tod eine Leere hinte r ließ, die ich unbedingt füllen wollte. So nahm ich mir die Zeit, unsere einfache Hausarbeit in eine Art Spiel zu verwandeln, damit Jamie den Verlust nicht so tief empfand.
    Am Ende des Tages überzeugte ich mich am lieb s ten immer selbst davon, dass jedes

Weitere Kostenlose Bücher