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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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die Seelen der Toten sein Wasser kosten, vergessen sie ihr vergangenes Leben. Wenn j e der Tag randvoll von Traurigkeit ist, Anna, ist der Wunsch nach Vergessen ganz natürlich. Aber diese Seelen vergaßen auch alle, die sie je geliebt hatten. Und das möchtest du doch sicher nicht, oder? Ich habe schon in einigen Predigten gehört, Gott wolle, dass wir die Toten vergessen, aber das kann ich nicht glauben. Ich glaube, dass Er uns kostbare Erinneru n gen schenkt, damit wir nicht gänzlich von jenen g e trennt sind, die Er unserer Liebe anbefohlen hat. A n na, du musst deinen Kindern ein liebevolles Gede n ken bewahren, bis du sie im Himmel wiedersiehst.«
    »Ich habe in der Danielschen Kate den Mohn aus Ihrem Deckelkorb genommen.«
    »Das weiß ich«, sagte sie. »Und, hat er dir schöne Träume geschenkt?«
    »Ja«, flüsterte ich, »die schönsten meines L e bens.«
    Sie nickte. Der Feuerschein zauberte einen Stra h lenkranz um ihre feinen Haare. »Ja«, meinte sie, »ich erinnere mich noch gut daran.«
    »Sie?«, sagte ich verblüfft. »Sie haben dieses Zeug genommen?«
    »Ja, Anna, auch ich, denn es gab eine Zeit, in der auch ich vieles nur noch vergessen wollte. Der Mohn, den du mir entwendet hast – er war noch ein Relikt aus jenen Tagen. Wie du siehst habe ich ihn behalten, obwohl es schon einige Jahre her ist, dass ich ihn benutzt habe. Aber er ist ein eifersüchtiger Freund, der uns nicht leicht aus seiner Umarmung entlässt.« Dabei stand sie auf, griff in einen Tontopf in der Ecke und gab ein gerüttelt Maß getrocknete Kamille in einen Topf. Der Wasserkessel, der über dem Herd hing, hatte zu dampfen begonnen. Daraus goss sie gerade so viel Wasser, um einen kräftigen Tee aufzubrühen.
    »Erinnerst du dich noch, Anna, was ich unterwegs zu den Daniels zu dir gesagt habe? Dass ich nie ein Kind geboren hätte?«
    Ich nickte benommen, da ich mir nicht vorstellen konnte, worauf sie hinauswollte.
    »Dass ich nie schwanger war, habe ich nicht g e sagt.«
    Ihre Worte mussten bei mir einen verwirrten G e sichtsausdruck hervorgerufen haben. Schließlich ha t te ich für Elinor Mompellion gearbeitet, ihre Kle i dung gewaschen und ihre Wäsche gewechselt, seit sie als frisch Vermählte in unser Dorf gekommen war. We nn sie s chwanger gewesen wäre, hätte ich d as fast so schnell gewusst wie sie selbst. Da ich es mir so sehr für sie wünschte, hatte ich sogar den Ve r lauf ihrer monatlichen Tage beobachtet.
    Jetzt streckte sie eine Hand aus und drehte mein Gesicht so, dass ich sie direkt ansah. »Anna, das Kind, das ich unter dem Herzen trug, stammte nicht von Mister Mompellion.« Aus meiner Miene erkan n te sie, wie schockiert ich war. Ihre weichen Finger, die vom Halten des dampfenden Bechers noch ganz warm waren, flatterten über meine Wange, als wollte sie mich beruhigen. Anschließend sank ihre Hand nach unten und suchte nach meiner, die in meinem Schoß lag. »Obwohl es eine sehr schmerzvolle G e schichte ist, erzähle ich sie dir jetzt, denn ich möchte, dass du diejenige kennst, die dir das alles aufbürdet.«
    Nun wandte sie ihr Gesicht zum Feuer. Während sie weitersprach, schauten wir beide in die Flammen. Ihre lange Geschichte begann auf einem riesigen und wunderschönen Landsitz in Derbyshire, in Räumen, die von nachdenklich blickenden Ahnenporträts b e wacht wurden. Sie war die geliebte einzige Tochter eines Edelmannes mit großem Vermögen gewesen. Sie wurde verwöhnt – verzogen, sagte sie –, beso n ders nach dem Tod ihrer Mutter. Ihr Vater und ihr älterer Bruder waren liebevoll gewesen, aber oft nicht da, und hatten sie der Obhut einer Gouvernante anvertraut, die mehr Wissen als Weisheit besaß.
    Elinors Kindheit war von zwei Dingen erfüllt: Vergnügen und dem Streben nach Wissen, was für sie fast dasselbe bedeutete. »Anna, wenn ich dir das sage, werde ich rot, denn ich weiß, was du aus den spärlichen Brocken gemacht hast, die dir dein Leben mitgab. Wenn ich mir dagegen irgendetwas – ob Griechisch oder Latein, Geschichte, Kunst und N a turkunde – in den Kopf gesetzt hatte, musste ich es lediglich erwähnen, und schon wurden all diese Schätze vor mir ausgebreitet. Und ich habe diese Dinge gelernt. Aber vom Leben, Anna, und von der menschlichen Natur – darüber habe ich nichts g e lernt.« Da ihr Vater es für besser hielt, sie vor der Welt zu schützen, verließ sie den Besitz nicht und bewegte sich auch nur in einem sehr ausgewählten Gesellschaftskreis. Sie war gerade mal

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