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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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konnte. Vorsichtig schlich ich mich ins Dunkel. Etwas strei f te mein Gesicht. Ich schnappte nach Luft. Aber es war nur ein Wedel Mädesüß, der sich aus einem B ü schel neben der Tür gelöst hatte.
    Draußen pfiff der Wind. Für Fensterglas waren die Gowdies zu arm gewesen. Die Kate besaß lediglich eine Luke unter dem Giebel, die seit den ersten kü h len Herbsttagen mit Schilf zugestopft war. Da ich völlig durchweicht war, musste ich unbedingt zum Aufwärmen ein Feuer anzünden. Außerdem wollte ich auch etwas sehen. Aber in dem rußgeschwärzten Zimmer war es so düster, dass ich zuvor auf dem ganzen Herd tastend nach Feuerstein und Zunder s u chen musste. Als ich sie gefunden hatte, zitterten meine Hände so sehr, dass ich keinen Funken schl a gen konnte, sooft ich es auch versuchte.
    Plötzlich flammte hinter mir ein Licht auf.
    »Bleib vom Herd weg, Anna.«
    Vor Schreck ließ ich den Feuerstein fallen, verfing mich mit dem Fuß in einer losen Herdplatte und rutschte mit dem Gesicht voraus auf den gestampften Erdboden. Entsetzt hob ich den Kopf. Das Licht, das vom Geist der Anys Gowdie ausging, blendete mich. In einem weißen Gewand schwebte sie strahlend über mir.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Elinor Mompellion, während sie mit einer Kerze in der Hand die Spe i cherleiter herunterstieg.
    Urplötzlich überfielen mich Erleichterung und Scham mit solcher Macht, dass ich in Tränen au s brach. »Hast du dir wehgetan?«, fragte Mistress Mompellion, wobei sie sich im Kerzenschein mit sorgenvoll gerunzelter Stirn über mich beugte. Mit einem Zipfel ihrer weißen Schürze wischte sie die Stelle auf meiner Stirn ab, wo ich am Boden aufg e schlagen war.
    »Nein, nein«, sagte ich, während ich mühsam um Fassung rang. »Ich bin nur auf mein Handgelenk g e fallen. Ich … ich habe nicht erwartet, heute jema n den hier anzutreffen, und bin nur erschrocken.«
    »Anscheinend hatten wir beide den gleichen Ei n fall«, meinte sie. In meiner Verwirrung dachte ich, auch sie sei auf der Suche nach Mohnsaft hierher g e kommen. »Ich kam gestern am späten Abend hie r her«, fuhr sie fort, »weil mir genau wie offensichtlich auch dir klar ist, dass wir sämtliche Heilpflanzen und Arzneien aus der Hinterlassenschaft der Gowdies sichten müssen. Meiner Überzeugung nach muss sich der Schlüssel zur Bekämpfung der Pest hier befi n den, in der Heilkraft von Pflanzen, die man zur Stä r kung derer einsetzen kann, die noch gesund sind. Wir müssen unsere Körper kräftigen, damit wir auch we i terhin der Ansteckung widerstehen können.« Inzw i schen hatte sie meinen Platz am Herd eingenommen, ein wenig Kerzenwachs auf einen Kienspan geträ u felt und so eine Flamme entfacht.
    »Ich hatte mich so sehr ins Sortieren der Pflanzen vertieft und dabei kaum auf das schwindende Tage s licht geachtet. Als mir klar wurde, dass ich mich u m gehend auf den Heimweg machen müsse, hatte es zu schneien begonnen. Ich hielt es für das Beste, die Nacht hier zu verbringen, anstatt mich bei solchem Wetter auf den langen Weg zum Pfarrhaus zu m a chen. Mister Mompellion käme sicher auf den G e danken, man w ürde mich die Nacht über an irgen d einem Kra n kenlager brauchen. Und tatsächlich habe ich an di e sem stillen Ort so gut geschlafen, dass ich es vermu t lich noch täte, wenn mich nicht dein Kampf mit der Tür geweckt hätte. Und jetzt müssen wir uns an die Arbeit machen. Denn eines steht fest, Anna: Hier li e gen tatsächlich Schätze!« Dann zählte sie jene Pfla n zen auf, die sie bisher identifiziert hatte, und beric h tete über die Heilkräfte von Säften, die wir zubere i ten und verteilen könnten.
    Während ich ihren selbstlosen Plänen lauschte, spürte ich, wie erbärmlich mein eigenes egoistisches Streben nach Flucht in ein falsches Vergessen war.
    »Mistress Mompellion, ich …«
    »Elinor«, unterbrach sie mich, »wir beide können nicht unter den derzeitigen Bedingungen zusamme n arbeiten und mit den alten Formen weitermachen. Du musst Elinor zu mir sagen.«
    »Elinor … Ich muss Ihnen etwas beichten. Ich bin nicht gekommen, um nach Kräutern für andere zu suchen, sondern nur für mich selbst.«
    »Ach ja«, sagte sie leise, »deshalb bist du hier.« Mit einem Griff zum Dachsparren band sie wie selbstverständlich ein Bündel reifer Samenkapseln los. »Die alten Griechen haben sie die Blumen L e thes genannt. Weißt du noch? Wir haben zusammen darüber gelesen. Lethe – der antike Fluss des Ve r gessens. Sobald

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