Das Pesttuch
vierzehn, als ein Nachbar, ein junger zwanzigjähriger Mann und Erbe eines Herzogtums, ihr nachzulaufen begann.
»Als mein Vater nach einer Zeit der Abwesenheit zurückkam und entdeckte, dass wir beide fast täglich allein ausgeritten waren, erklärte er mir, dies müsse sofort aufhören. O nein, streng war er nicht mit mir. Andernfalls hätte ich vielleicht mehr auf ihn gehört, aber vielleicht wäre auch das egal gewesen. Denn eines steht fest, Anna: Ich war von dem jungen Mann und seiner Aufmerksamkeit hingerissen. Er schme i chelte mir auf jede erdenkliche Weise. Mein Vater erklärte mir lediglich, für derart intensive Freun d schaften sei ich noch viel zu jung. Er sagte, er habe viele Pläne für mich: eine Vorstellung bei Hofe, eine gemeinsame Reise mit ihm zu den großen Stätten der antiken Welt. Aber noch während er dies sagte, hegte ich mit schlechtem Gewissen nur einen einzigen G e danken: Wie viel mehr würde ich dies am Arm von Charles, meinem jungen Mann, genießen. Was mir mein Vater nicht sagte, waren seine Zweifel an Charles selbst, seine Bedenken in Bezug auf seinen Charakter, die sich im Laufe der folgenden Ereigni s se als sehr begründet herausstellten. Vielleicht wollte er sich nicht mit einer Reihe von Fragen konfrontiert sehen, die ich nach einer derartigen Mitteilung s i cherlich gestellt hätte. Denn wir lebten ganz zurüc k gezogen, und man hatte mich gänzlich vor jener Welt behütet, die mein Vater und mein Bruder – und auch Charles – nur allzu gut kannten.«
Anfänglich hatte Elinor, die ihren Vater liebte, seinen Wünschen entsprochen, aber als ihn seine G e schäfte einen Monat später wieder von seinem Besitz forttrieben, stellte ihr der junge Mann erneut nach. »Er flehte mich an, mit ihm fortzulaufen, und ve r sprach, später würde er sich wieder mit meinem V a ter versöhnen, der sicher nichts gegen eine Heirat einwenden würde. Meine Gouvernante entdeckte den Plan und hätte ihn vere i teln können, aber ich flehte sie an, und Charles ließ seinen ganzen Charme spi e len. Schließlich erkaufte er sich ihr Schweigen mit einem Geschenk. Erst sp ä ter erfuhren wir, dass er den Rubinanhänger aus der Schmuckschatulle seiner Mutter entwendet hatte. Und so leistete sie unserem Plan Vorschub und hielt meinen Vater viel länger in Unkenntnis, als es sonst möglich gewesen wäre.
Mit ihrer Hilfe stahlen wir uns mitten in der Nacht fort. Wie kann ich dir heute klar machen, warum ich damals so etwas tat? Ich glich jenem verliebten Träumer aus Sidneys Gedicht: › Getrübt mein junger Sinn, den Lieb’ so fest umschlungen hält. ‹ Ich dac h te, wir würden, wie geplant, die Fleet Street anste u ern, wo man jederzeit ohne Lizenz eine Heiratsu r kunde kaufen konnte. Leider hatte ich London noch nie g e sehen. Als nun Charles vorschlug, wir sollten uns z u erst doch noch amüsieren oder den einen oder anderen Ausflug machen, war ich sofort einversta n den.
Du wirst längst vermuten, was nun kommt: Die Vereinigung wurde noch vor dem Segen vollzogen.« Elinor klang ganz verzagt: »Und danach dämmerte es allmählich sogar mir, dass er keinerlei Absichten hegte, sie absegnen zu lassen. Da ich dir wirklich alles erzählen möchte, Anna, sollst du auch das wi s sen: Ich war im Feuer meiner Begierden so gefangen, dass es mir nicht viel ausmachte.«
Nun weinte Elinor stumm vor sich hin. Ich strec k te die Hand aus, wollte sie berühren und die Tränen wegwischen, aber der Respekt, den man mir von G e burt an eingebläut hatte, ließ meine Hand verharren. Daraufhin schaute Elinor mich an. Ihr Blick verriet, dass meine Berührung willkommen war. Und s o strich ich ihr mit meinen Fingerspitzen die Tr ä nen von der Wange. Anschließend ergriff sie meine Hand und hielt sie fest, während sie weitererzählte, wie sie mit Charles über vierzehn Tage zusammengelebt ha t te, bis er eines schönen Abends einfach nicht mehr in das Gasthaus zurückkehrte, wo sie sich ve r steckten. Er hatte sie im Stich gelassen.
»Tagelang wollte ich es mir selbst nicht eingest e hen und redete mir alle möglichen Sachen ein: Er sei irgendwo krank geworden, oder man habe ihn zu e i nem hochpolitischen Geheimauftrag abberufen. Es dauerte einige Zeit, bis ich mich der Tatsache stellte, dass ich ruiniert war, und mich an jene Menschen wandte, die mich trotz allem immer noch irgendwie liebten.« Vater und Bruder hatten verzweifelt nach ihr gesucht. Nun brachten sie sie nach Hause, wo über die ganze Sache Gras
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