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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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hinzugehen und nachz u schauen, was ich mir vielleicht sichern könnte.
    An der dem Wind zugekehrten Seite von Felsen und Bäumen hatte sich der Schnee wie eine schi m mernde Lackschicht aufgetürmt. Meine Hennen duckten sich mit aufgeplusterten Federn in einer frostfreien Gartenecke. Jede stand nur auf einem Bein, während sie das andere im Gefieder wärmte. Ich packte ein paar Hände voll Heu und stopfte damit meine Stiefel aus, um meine Füße während des la n gen, feuchten Weges trocken und warm zu halten. Aus dem tief hängenden, schwarzgrauen Himmel drohte weiterer Schneefall. Die Weiden waren gel b weiß gesprenkelt: Flecken mit aufgetauten Stoppeln stachen von breiten hellen Streifen ab, wo der Schnee noch immer in den Furchen lag. Vom höch s ten Punkt aus konnte ich bis zum Riley-Hof hinu n terschauen, wo die Erntegarben noch immer auf dem Feld standen, inzwischen verfault und nutzlos. Bei uns heißt es, die Kirchenglocken müssten drei Son n tage lang über d en Garben läuten. Erst dann dürfe man die Ernte heimbringen. Aber über diesen Garben hatte das T o tenglöcklein geläutet, und das mehr als dreimal. Seitdem dieses Feld abgemäht wurde, hatte Mutter Hancock ihren Mann, drei ihrer Söhne und eine Schwiegertochter beerdigt. Heute würde sie Swithin und Lib der Erde übergeben. Ich trottete weiter und bahnte mir einen Weg über gefrorene Grassoden, wobei ich versuchte, den aufgetauten Matschstellen auszuweichen. Plötzlich fiel mir auf, dass etwas a n ders war als sonst. Um diese Stunde müsste eigen t lich aus der Talbotschen Schmiede ölig-schwarzer Rauch von der frisch entzündeten E s se dringen und bei dieser windstillen Kälte wie dun k le Nebelschw a den durchs Tal treiben. Aber die Esse war kalt und in der Kate der Talbots alles still. Schweren Herzens schlug ich den schmalen Pfad zum Schmiedehaus hinauf ein. Ich wusste nur allzu gut, was mich bei meiner Ankunft dort erwartete.
    Kate Talbot öffnete die Tür. Sie presste eine Faust in ihr schmerzendes Kreuz. Sie war mit ihrem ersten Kind hochschwanger, das zu Fastnacht kommen sol l te. Wie erwartet roch es im ganzen Haus nach faul i gen Äpfeln. Dieser früher so geliebte Duft war inzw i schen in meiner Vorstellung so sehr mit Krankenl a gern verbunden, dass es mich würgte. Aber im Haus der Talbots roch es noch nach etwas anderem: nach verbranntem Fleisch, das in Verwesung übergega n gen war. Richard Talbot, der stärkste Mann in uns e rem Dorf, lag ausgezehrt auf seinem Bett und wi m merte wie ein kleines Kind. Das Fleisch in seiner Lende war schwarz versengt wie Roastbeef. Unter dem glühe n den Eisen war das grünlich verwesende Fleisch bis zum Muskel aufgeplatzt. Eiter suppte he r aus.
    Ich konnte die Augen nicht von dieser fürchterl i chen Wunde abwenden. Als Kate meine Blicke sah, rang sie die Hände. »Er hat verlangt, dass ich’s tue«, flüsterte sie heiser. »Vor zwei Nächten ließ er mich die Esse anheizen und den Schürhaken rot glühend erhitzen. Anna, ich brachte es nicht fertig, ihn ihm aufzulegen. Da hat er ihn mir trotz seiner Schwäche aus der Hand gerissen und das Brandze i chen tief in sein eigenes Fleisch gedrückt. Seine Schreie höre ich jetzt noch. Anna, mein Richard ist ein Mann, der Huftritte und Hammerschläge au s gehalten und sich oft an heißen Eisen und herabfallenden Kohlen ve r brannt hat. Aber der Schmerz, den er sich selbst z u gefügt hat, muss wie Höllenfeuer g e brannt haben. Danach lag er zitternd eine Stunde da. Er meinte, wenn wir die Pestbeule ausbrennen, wü r de gewiss auch die Krankheit verschwinden. Aber seit jener Nacht hat sich sein Zustand nur noch ve r schlechtert, und ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll.« Ich murmelte lediglich ein paar hohle Tros t worte, denn eines wusste ich genau: Richard Talbot würde wah r scheinlich noch vor dem Abend sterben, wenn nicht an der Pest, dann an der Fäulnis.
    Da mir die Worte fehlten, blickte ich um mich; vielleicht gab es etwas zu tun. Kalt war es im Raum. Kate sagte, sie habe solche Kreuzschmerzen, dass sie jeweils nur ein Holzscheit habe hereintragen können. Das Feuer war bereits bis auf die Glut erloschen. Ich ging nach draußen, um einen Riesenkorb Holz zu holen. Beim Hereinkommen sah ich, wie sich Kate über Richard beugte und ein kleines Pergamentdre i eck aufhob, das sie dicht neben seine Wunde gelegt hatte. Sie war zwar schnell, aber trotzdem sah ich deutlich, was sie zu verstecken versuchte. Einen

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