Das Pestzeichen
sie und versuchte zu lächeln. Urs wusste, dass die Erinnerung sie schmerzte, und sagte kein Wort. Susanna ließ nichts aus und berichtete von Jeremias, der Schatzkarte, der Familie Sonntag in Eppelborn und auch von ihrer Muhme und ihrem Vetter Arthur. Sie blickte auf und erklärte: »Deshalb ist es wichtig, dass ich den Schatz finde. Ich will meinen Vetter zu mir holen und mit ihm von hier fortgehen.«
»Das ist sehr löblich«, erklärte Urs. »Aber warum hast du mich und meine Familie belogen?«
Susanna zögerte einen Augenblick, doch dann klärte sie Urs über sein Geburtsdatum auf. Weil er am selben Tag wie der Herr Jesus Geburtstag habe, glaube sie fest daran, was sie von Karl Lauer erfahren hatte: Ein Schatzsucher, der am Christfest geboren wurde, könne Totengeister erlösen.
Als Urs das hörte, sprang er von seinem Platz auf und ging einige Schritte am Feuer auf und ab.
»Unglaublich!«, murmelte er und fragte: »Wenn ich dich richtig verstanden habe, glaubst du allen Ernstes, dass du mit meiner Hilfe den Schatz leichter heben kannst, weil ich angeblich fähig bin, Geister zu erlösen?«
Susanna nickte. »So hat man mir erzählt.«
»Unfassbar«, murmelte er. »Das muss Gottes Wille sein!«
Nun blickte Susanna ihn fragend an. »Wie meinst du das?«
Urs ging zu seinem Beutel, holte sein Buch hervor und setzte sich zu Susanna ans Feuer. Er legte sich das Buch auf die Knie und fuhr sich mit den Händen über die Oberarme, als friere er.
»Ist dir kühl?«, fragte Susanna, der es mittlerweile am Feuer zu heiß geworden war, weshalb sie ein Stück abrückte.
»Nein, es ist alles bestens. Ich bin nur aufgeregt«, sagte Urs und lächelte verlegen. Er wollte nicht zugeben, dass sein Herz raste und er kaum ruhig sitzenbleiben konnte. Auch seine Knie zitterten, sodass er die Fersen fest in den Boden pressen musste.
»Warum bist du so aufgeregt?«, fragte sie und zog ihre Stirn kraus. »Das, was ich dir erzählt habe, ist tragisch, aber nicht aufregend.«
Urs räusperte sich und zeigte auf das Buch. »Ich habe erst vor wenigen Tagen über solch eine Schatzsuche in diesem Buch hier gelesen.«
Susannas Augen weiteten sich. »Wie kann das sein?«, fragte sie und senkte furchtsam ihre Stimme.
Er zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Ich habe die Seiten nur überflogen, da es mich nicht neugierig machte. Ich bin nämlich fest der Meinung, dass nur Gelehrte wie Paracelsus, der diese Schriften verfasst hat, zum Schatzgräber geboren sind. Ich wusste nicht, dass das, wie du erzählst, jeder kann.«
»Nicht jeder kann einen Schatz finden«, fauchte Susanna. »Du hast mir anscheinend nicht richtig zugehört. Nur mit den richtigen Werkzeugen und Schriften wird man zum Schatzgräber.«
»Reg dich nicht auf! Ich habe dir zugehört, aber nicht alles verstanden«, murrte er.
»Wer war dieser Paracelsus?«, fragte Susanna entflammt, da sie ihrem Ziel anscheinend greifbar nahe gekommen war. Mit leuchtenden Augen blickte sie Urs an und wartete gespannt darauf, was er ihr erklären würde.
»Er war ein berühmter Arzt, der als Theophrastus Bombastus von Hohenheim geboren wurde, doch genannt hat er sich Paracelsus. Er lebte vor über einhundert Jahren und war Arzt, Naturforscher und Philosoph. Er soll weit gereist sein, um sein Wissen zu erweitern. Mein Oheim schenkte mir das Buch zum Abschied, und seitdem lese ich täglich darin.«
»Was berichtet er über die Schatzsuche?«, fragte Susanna und streckte sich vor dem Feuer aus.
Urs blätterte in dem Buch, bis er die Seiten fand. »Hier habe ich es«, sagte er erfreut und las vor. »Hier steht, dass Paracelsus zwei Arten von Schätzen unterscheidet. Solche, die von Menschen versteckt wurden und leicht zu finden sind. Und jene, die Naturgeister verborgen haben und die von ihnen bewacht werden.«
»Mein Schatz soll von einem Mönch vergraben worden sein, der aus Habgier nicht teilen wollte. Demnach müssten wir ihn leicht finden. Erklärt Paracelsus, welche Rolle Naturgeister spielen?«
Urs las nach und nickte. »Er spricht von Undinen, den Geistern des Wassers, von Salamandern, den Geistern für das Feuer, von Gnomen, die die Geister der Erde sind. Und dann gibt es noch die Sylphen. Das sind, schreibt Paracelsus, seelenlose Geister der Luft, die die Schätze bewachen. Er schreibt weiter, dass die Schätze der Naturgeister deshalb schwer zu heben sind, weil sie die Geldgier der Menschen erahnen.« Urs blickte nachdenklich vom Buch auf. »Das trifft auf dich
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