Das Pestzeichen
konnte. »Meine Eltern, mein Bruder und meine kleine Schwester wurden vor einigen Wochen auf unserem Hof nahe Heusweiler ermordet«, wisperte sie.
Urs lief zu Susanna und half ihr vom Pferd. Sie klammerte sich bebend an ihn und weinte, sodass er sie an sich presste und sie umschlungen hielt.
»Heusweiler? Liegt der Ort in der Nähe?«, fragte er leise.
»Nein, er liegt im Köllertal, einen halben Tag Fußmarsch von hier entfernt«, schluchzte Susanna.
Urs grübelte. Viele Fragen schwirrten ihm durch den Kopf, doch er wollte sie erst stellen, wenn sie sich beruhigt hatte. Als er spürte, dass ihr Beben nachließ und auch das Weinen aufhörte, fragte er: »Was in aller Welt willst du in Gersweiler?«
Susanna blickte ihn aus tränennassem Gesicht an. Sie wusste, dass sie jetzt nur die Wahrheit sagen durfte, und gestand: »Weil ich hier einen Schatz finden muss.«
Urs wusste nicht, ob er laut lachen oder verärgert sein sollte, da Susanna ihn anscheinend veralberte.
»Warum lügst du?«, fragte er und blickte sie zweifelnd an. Er hatte vorher noch nie jemanden wie sie getroffen und konnte sie nicht einschätzen. Zweifel kamen in ihm hoch, ob er ihr vertrauen konnte oder ob alles eine Lüge war. Er wusste nicht, ob es besser wäre, zu gehen, oder ob er doch bleiben sollte. Allerdings fühlte er sich zu ihr hingezogen, und er hatte das Bedürfnis, sie zu beschützen. Urs stöhnte innerlich auf.
»Ich lüge nicht«, brauste sie auf. »Mit dem Tod einer Familie spaßt man nicht«, sagte sie ernst und blickte ihm dabei fest in die Augen.
Urs forschte in ihrem Blick. Er glaubte ihr zwar, trotzdem war er verärgert: »Wir suchen uns ein Nachtlager, und dann erzählst du mir deine Geschichte«, forderte er mit entschlossener Miene.
Er sah, dass Susanna schwer schluckte, aber es war ihm einerlei. »Lass uns in die leer stehende Kate gehen«, schlug er vor, doch Susanna schüttelte den Kopf, denn sie dachte an die Ratten, die im Innern verschwunden waren.
»Ich würde lieber im Freien übernachten. Wir können dort drüben abseits des Weges das Lager aufschlagen«, entgegnete sie.
Urs nickte. »Ich suche Holz zusammen, mit dem wir ein Feuer entzünden können, das Ungeziefer und wilde Tiere von uns fernhält«, versuchte Urs zu spaßen. Susanna war jedoch nicht zum Scherzen zumute.
»Lass das Pferd auf der eingezäunten Koppel grasen. Zum Glück gibt es hier keine Bauern, die etwas dagegen haben könnten«, sagte er und zeigte ihr die Wiese.
Susanna führte den Wallach die Koppel entlang bis zum Gatter, das weit offenstand. Sie nahm ihm das Kopfgeschirr ab und presste kurz ihr Gesicht an seinen Hals. »Du bist der Beste«, murmelte sie und entließ ihn mit einem Klaps auf den breiten Hintern. »Friss dich satt, Dickerchen«, sagte sie, als ein Geräusch sie zusammenzucken ließ. Rasch schloss sie das Törchen und rannte zurück zu Urs.
Das brennende Holz knisterte und spendete Wärme, aber auch Geborgenheit. Obwohl die Luft nicht kalt war, hatte Susanna das Gefühl, ohne Feuer frieren zu müssen. Sie setzte sich auf die Decke. Urs, der auf einem dicken Holzstück saß und mit einem Stock in den Flammen herumstocherte, maulte: »Wir haben nichts mehr zu essen!«
»Ich bin nicht hungrig«, versicherte Susanna ihm sofort.
»Aber ich«, sagte er knapp und bedauerte es, dass er Armbrust und Pfeile beim Vater gelassen hatte. Er kramte im Rucksack nach Brot und Wurst, doch das meiste hatten sie unterwegs verzehrt. Es war nur noch ein Kanten Brot übrig. »Der muss für heute Abend reichen«, sagte er und brach ihn in zwei Teile. Eins reichte er Susanna, die jedoch den Kopf schüttelte.
»Ich habe wirklich keinen Hunger. Du darfst ihn essen.«
Urs ließ sich das nicht zweimal sagen und verschlang beide Hälften. »Jetzt fühle ich mich wohler«, seufzte er und blickte Susanna an, die zu Boden schaute.
»Es ist an der Zeit, dass du mir die Wahrheit sagst«, erklärte er.
Sie nickte. »Was willst du wissen?«
»Alles!«
Susanna atmete tief ein und aus, starrte ins Feuer und berichtete von dem Verbrechen an ihren Familienangehörigen. Urs war erschüttert über das, was Susanna erlebt hatte. Er dachte an seine Familie und vermisste sie. Während sie so genau wie möglich schilderte, wie sie vor noch gar nicht so langer Zeit bei der Rückkehr auf den elterlichen Hof ihre ermordeten Angehörigen gefunden hatte, hielt sie immer wieder inne, da sie mit den Tränen kämpfte. »Der Rauch brennt in meinen Augen«, flüsterte
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