Das Pete Buch 12 - Der Goldkoenig von Somerset
die schwachen Frauenfüße doch immer mehr ermatten. Zuletzt stelzte die Witwe Poldi mit hundert Meter Abstand voran.
„Ich hab' die halbe Nacht nicht schlafen können", erzählte Mrs. Rattlesnake. „Mußte immer von dem Gold träumen, ob ich wollte oder nicht. Wenn alles gut geht, dann lasse ich mir das Eßgeschirr, den Kohlenkasten und die Bilderrahmen vergolden."
„Hoho, vielleicht auch noch das gewisse Töpfchen", feixte ihre Nachbarin, Mrs. McDullen. Sie hatte sich noch nie gut mit der Rattlesnake verstanden. Die Rattlesnake konnte es ihr nicht vergessen, daß Jersey McDullen, deren Mann, vor mehr als zwanzig Jahren einmal mit ihr
auf den Ball gegangen war und dann doch die andere geheiratet hatte.
„Horch! Da war doch was!" schrie eine der Frauen auf und wies aufgeregt nach rechts, wo sich tatsächlich unter den Stämmen etwas bewegte. Es sah aus wie das Schwänzchen eines Rehs, nur viel breiter, runder und kräftiger.
Dieses Etwas bewegte sich ziemlich rasch von dannen.
„Das war ein Mensch, ein Lauerer, ein Spitzbub, einer von den Goldräubern!" behauptete Mrs. Timpedow, aber ihre Marschnachbarin widersprach heftig.
„No, auf keinen Fall! Das war — ich hab' es deutlich gesehen — das Hinterteil von einem Hirsch oder Reh. Spiegel nennt man es. Menschen sind doch hinten nicht so weiß!"
Die Debatte wurde durch Witwe Poldis schrille Rufe unterbrochen. Diese stand auf einer Erdaufschüttung und fuchtelte mit Hacke und Schaufel in der Luft herum.
„Dalli, dalli! Keine Müdigkeit vorschützen! Ans Werk und weiter! Keine vergesse das lockende Ziel, die wilden Männer . . . äh . . . dadas Gold meine ich natürlich. Dalli also! Dalli!"
Mrs. Timpedow hatte dennoch recht gehabt mit ihrer Deutung. Es war ein menschlicher „Spiegel" gewesen, was sich dort zwischen den Waldbäumen verkrochen hatte. Dieser „Spiegel" gehörte Paddy Mike, der von Anfang an heimlich dem Zuge der Frauen gefolgt war.
Ja, der Bund der Gerechten war wie immer auf Draht. Der Meldedienst hatte wunderbar funktioniert. Über zwanzig Mannen befanden sich um diese Stunde auf
den Beinen. Teils beschatteten sie bereits die vielen fremden Goldsucher, teils tauchten sie verabredungsgemäß im westlichen Forst auf und gesellten sich zu den Männern von Somerset, die sich schon in emsiger Diggerei befanden. Pete Simmers vertrat ganz richtig die Ansicht: „Wenn wir uns nirgends zeigen, wenn wir den Zauber nicht als vorwitzige ,Bengels' mitzumachen versuchen, dann müssen sie ja darauf stoßen, daß wir uns heimlich in den Fall Mathew Cannimore eingeschaltet haben. Es muß alles echt und auch für uns überraschend aussehen."
Wie gesagt, man war auf Draht, genau wie Paddy Mike, der nur ganz zufällig in Besitz seines hinteren „Spiegels" gelangt war. Als er zwischen zwei Häusern das Palaver der Frauen um Witwe Poldi beobachtet hatte, war er in einem Augenblick, der rasche Deckung verlangte, mit dem Hosenboden in ein Faß mit gelöschtem Kalk geraten. Daher zierte nun seine Sitzpartie jener große weiße Klecks, den viele Frauen dann als naturreinen Rehspiegel angesehen hatten. Paddy Mike war nur etwas zu nahe an die seltsame Marschkolonne gekommen. Er dachte nicht an Flucht. Er hatte sich bloß ein wenig „abgesetzt", blieb aber immer nah genug dran, um alles genau beobachten zu können. Er hatte auch fast all den Unsinn mitangehört, den diese närrischen alten Weiber unterwegs dahertratschten.
Die streitbare Witwe Poldi war schon wieder gut fünfzig Schritte voraus. Paddy Mike sah, wie sie stehenblieb und sich auffallend rasch umwandte, dann sogar blitzschnell zurückgewetzt kam.
Im Norden erhob sich die gigantische Kulisse der Felsenberge. Blau, rot und grün sah sie aus. Das Sonnen-
licht zauberte die schönsten Farben auf das Gestein, an dessen Fuß ein dichter Waldgürtel dunkelte.
Das Gelände, in dem sich die Frauen jetzt befanden, bestand in der Hauptsache aus über mannshohem Gebüsch, das hier und da von einzelnen Bäumen überragt wurde. Ein schmaler, wenig begangener Pfad führte in nördlicher Richtung.
Als die Frauen nun ihre Anführerin heranhopsen sahen, rotteten sie sich eng zusammen. Alles deutete darauf hin, daß man vor wichtigen Ereignissen stand.
„Frauen! Freundinnen, die Stunde ist da!" stieß Mrs. Poldi, nach Atem ringend, hervor. Sie pflegte, genau wie in den Sitzungen des Vereins für Frauenrechte, alles, was sie zu sagen hatte, gleichsam als die Präsidentin, also mit Schwung und feierlichem
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