Das Pete Buch 25 - Das wird ne Sache
ein. So kam es, daß er nie im Leben dazukam, eine Sache bis zum Ende zu denken. Er fuhr aus seinem Traum, in dem er sich mit einer Menge riesenhafter Neger herumschlug, erst wieder hoch, als der Zug in Somerset hielt. Benommen kletterte er aus dem Wagen.
Der erste Mensch, der ihm begegnete, war ... die Witwe Poldi. „Was ist denn mit Ihnen, mein lieber Watson?" fragte sie und stieß den Hilfssheriff neckisch mit dem Zeigefinger in die Seite. „Sie machen ja ein Gesicht, als sei Ihre gesamte Verwandtschaft auf einen Schlag ausgestorben! Ich hoffe, es ist nichts Ernstliches?"
Watson seufzte abgrundtief. Das Mitgefühl der guten Witwe tat ihm wohl. „Die Welt ist undankbar und unsagbar schlecht!" entgegnete er mit Grabesstimme.
„Wem erzählen Sie das?" röhrte die Witwe. „Ich weiß es, mein Lieber! Ich weiß es genau! Ich habe es oft genug am eigenen Leib erfahren."
„Daß heutzutage sogar ein Vater seinen verlorenen
Sohn nicht mehr anerkennen will, geht mir nicht in den Sinn. Und dabei handelt es sich um einen sehr einflußreichen, hochgestellten und angesehenen Mann! Ich komme zu ihm, um ihm zu verkünden, daß ich seinen armen, vor zwölf Jahren unschuldig geraubten Sohn wiedergefunden habe, und was tut er? Er läßt mich durch einen Nigger hinauswerfen! Ja, hinauswerfen! — Stellen Sie sich das mal vor, meine liebe Mrs. Poldi!"
Die Augen der Witwe funkelten vor Neugier. „Wer ist es?" erkundigte sie sich im Flüsterton. „Und um welchen Sohn handelt es sich? Erzählen Sie doch, Mr. Watson! Sehen Sie nicht, wie Sie mich auf die Folter spannen?"
Und der Hilfssherriff erzählte, ausführlich, genau und haarklein. Nur etwas verschwieg er: daß er sein Wissen aus der Unterhaltung zweier Gäule bezogen hatte! Er fürchtete, man werde ihn sonst auslachen — obwohl alles mit rechten Dingen zugegangen war. Die Gäule hatten wirklich gesprochen! Hm — man konnte die Sache ja auch so hinstellen, daß er das Geheimnis mit seinem genialen Spürsinn, dem nichts verborgen blieb, ergründet hatte. Und er stellte es auch so dar.
Die Witwe legte ihm ihre zarte Hand so gewichtig auf die Schulter, daß er beinahe in den Knien zusammensank. „Die Welt ist schlecht, Mr. Watson! Aber seien Sie versichert: ich bringe diesen ehrvergessenen Vater auf den Weg der Pflicht zurück! Lassen Sie mich nur machen. — In Kürze wird er den armen Joschy auf Knien anflehen, ihn in sein Haus aufnehmen zu dürfen!"
Sie ging schnurstracks nach Haus. Dort holte sie Feder, Papier und Tinte herbei, setzte sich an den Tisch und ließ
ihrer Empörung freien Lauf. Papier ist ja immer so schön geduldig!
„Sehr geehrter Herr Senator!" schrieb sie. „Ich muß schon sagen: so etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen! Schämen sollten Sie sich — doppelt und dreifach schämen! Ihr armer, gestohlener Sohn sitzt in der Mühle von Somerset und weint sich die rotgeränderten Augen nach seinem pflichtvergessenen Vater aus. Sie aber weigern sich, ihn in Ihre Arme zu schließen. Pfui und abermals pfui! Ich setze Ihnen hiermit eine Frist, Mr. Caine: wenn Sie sich nicht innerhalb der nächsten acht Tage des armen, unglücklichen Waisenknaben annehmen, mache ich die Vereinigung der amerikanischen Frauenverbände gegen Sie mobil! Man wird sich der Sache annehmen und Ihnen so lange auf der Seele knien, bis Sie sich Ihrer Pflichten bewußt werden. Man wird Sie nach Washington zitieren! Sie werden dem Präsidenten Rede und Antwort stehen müssen! Zittern Sie schon jetzt, Mr. Caine! Beben Sie, wie sich das für einen solchen ehrvergessenen Menschen geziemt. Eine, die weiß, was los ist." —
In der Mühle aber ging es um diese Zeit reichlich stürmisch zu. Joschy hatte am Abend das Feuer unter dem Kessel dämpfen und mit Asche abdecken sollen, damit es am andern Morgen nur aufgeschürt zu werden brauchte. Mr. Givern hatte es ihm zwar gezeigt, wie so etwas gemacht wird; Joschy jedoch schien nicht richtig begriffen zu haben. Am andern Morgen jedenfalls war
das Feuer aus. Zur Strafe packte ihn der Müller am Genick und prügelte ihn so windelweich, daß der arme Junge am Ende nicht mehr wußte, wer er war.
Joschy fühlte sich hundeelend; er hatte sich das Leben beim Müller ganz anders vorgestellt. Der Mann schlug ihn bei jeder Gelegenheit; er mußte schlimmer arbeiten als ein erwachsener Knecht. Die Müllerin war eine nette, ordentliche Frau, aber sie fürchtete sich vor ihrem Mann und wagte nicht, Joschy das schwere Los zu
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