Das Pete Buch 39 - Wer soll da noch durchschauen
er heimleuchten! Der sollte nur kommen!
„Amerika liegt in — Ihr solltet euch eigentlich in Grund und Boden schämen, das nicht zu wissen! Es ist doch unsere Heimat, ihr verblödeten Mondkälber! Und deshalb — na, reckt keiner die Hand hoch? Amerika liegt im Erdteil — der Erdteil, wo Amerika liegt, heißt —"
Plötzlich kam ihm blitzartig die Erleuchtung:
„Amerika ist ein Teil der Vereinigten Staaten von Amerika. Habt ihr das nun endlich kapiert? Dann will ich noch einmal Recht vor Gnade ergehen lassen. Bye, bye! Aber wenn ich nachher noch einmal hier vorbeikomme und ihr seid nicht mäuschenstill, dann tanzt der Stock auf eurem Buckel einen Indianertanz!" —
Als Old John schweißbedeckt wieder auf der Straße stand, hörte er hinter sich ein vierzigstimmiges Löwengebrüll. Er achtete nicht darauf, sondern setzte seinen unterbrochenen Eilmarsch nach Hause fort.
Dort saß Jimmy, sein Neffe, mit einer wahren Leichenbittermiene am Küchentisch und stierte auf einen Briefbogen, den er in seinen zitternden Händen hielt.
„Jimmy!" rief der Onkel, „ich wollte dir nur kurz Bescheid sagen, daß ich heute den ganzen Tag auf dem Office zubringen muß. Ich war bei Sheriff Tunker. Der arme Kerl fiebert aus allen Knopflöchern. Ich habe ihm auseinandergesetzt, daß der Brief aus Washington eine hundsgemeine Fälschung sein muß; außerdem habe ich ihn vor Usher, Smaller, Pete, Sam und den anderen Konsorten gewarnt. Dieser Smaller ist nämlich tatsächlich gestern abend noch mit zur Salem-Ranch geritten, wie mir ein Cowboy der Heckler-Ranch berichtete, und das beweist besser als alles andere, woher der Wind über die Fluren von Arizona streicht. Aber Tunker winkte ab; das war zu viel für ihn — sein Aufnahmevermögen leidet ja auch schon im normalen Zustand an Unterernährung. Ich stehe also wieder ganz allein in der Bresche der Stadtmauer; ich muß das Town bewachen, Schulunterricht abhalten und —. Aber was fehlt dir, Boy? Was für einen Wisch hast du da in der Hand?"
„Lieber Onkel", stöhnte Jimmy, ohne aufzublicken, „ich fand soeben diesen Brief unter der Haustür. Er ist an dich adressiert, aber da er nicht zugeklebt war und da ich gewissermaßen als dein Stellvertreter funktioniere, habe ich ein ganz kleines Auge riskiert und — ach, du liebe Zeit!"
Old John nahm seinem Neffen, dem er die Frechheit beim Empfang auf dem Bahnhof längst verziehen hatte, das Blatt aus der Hand, trat damit ans Fenster, um besser sehen zu können, und las, zunächst für sich, dann nochmals laut:
„An John Watson, Hochwohlgeboren, Sieger im Sheriffs-Toto, Somerset. Sehr geehrter Herr! Ihr Neffe, Mr. Jimmy, befindet sich in einer tödlichen Gefahr für Leib und Seele. Die ,Kaspar Hauser-Bande' will ihn entführen. Sollte das geschehen, und Ihr Herr Neffe aus Somerset vertilgt werden, so suchen Sie ihn sofort in San Francisco! Dort liegt der Schlüssel des Geheimnisses! Suchen Sie ihn mindestens acht Tage lang! Das undankbare Somerset kann so lange für sich allein sorgen. Ein unbekannter Freund, der sich für Sie in Stücke hauen läßt."
„Da hast du's, Onkel", wimmerte Jimmy und wischte sich mit dem Hemdsärmel an den Augen herum. „Du denkst immer nur an die anderen, die dich verhohnepiepeln und für mich, dein eigenes Fleisch und Blut, hast du nur Ohrfeigen und grobe Worte übrig. Aber lies auch den zweiten Brief. Der kam mit der Post und war verschlossen; ich habe ihn auf den Tisch neben die Eier gelegt; das letzte Frühstück jedenfalls, das ich für dich in diesem Leben werde bereitet haben."
Der zweite Brief war von Mr. Frederick Usher; er lautete:
„Sehr geehrter Mr. Watson! Meine Gesundheit war schon immer schwach, aber durch die Ereignisse des heutigen Abends hat sie den Rest bekommen. Sie haben mich so unbeschreiblich blamiert, verdächtigt und in der Achtung unserer Mitbürger herabgesetzt, daß ich Somerset zunächst verlassen habe. So schreibe ich Ihnen diese Zeilen vom Bahnhof aus. Wenn sie in Ihren Besitz gelangen, befinde ich mich mit meiner armen Tante bereits an einem Ort, wo Ihre Feindschaft uns nicht mehr erreichen kann. Meine Tante ist trostlos über den Zwischenfall im Zuge und bittet nochmals um Entschuldigung. Bitte, erheben Sie keine gerichtliche Klage gegen sie! Vielleicht sehen wir uns später einmal wieder.
Mit größter Hochachtung Ihr Frederic Usher."
John Watson unterzog auch dieses Schreiben einem zweimaligen geistigen Verdauungsprozeß, bevor er sich zum Frühstück setzte.
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