Das Phantom auf dem Feuerstuhl
und gingen durch die Pforte zur Terrasse. Niemand sagte ein Wort. Aber
Tarzan spürte die Befangenheit seiner Freunde.
Hier, bei dem vermeintlichen Phantom,
ein krankes Mädchen anzutreffen, hatte niemand erwartet.
Sie lächelte schüchtern.
„Ich heiße Peter“, sagte Tarzan, „das
sind meine Freunde Gaby, Karl und Willi. Unser vierbeiniger Freund heißt Oskar.“
Das Mädchen hieß Claudia Herfurth, war
also die Tochter des Spirituosenvertreters. Jeder gab ihr die Hand. Gaby
stellte Oskar auf die Hinterbeine. Er mußte Pfote geben, und Claudia
streichelte ihn. Sie lächelte dabei. Aber es war ein schmerzliches Lächeln.
Sie trug Bluse und Jeans. Aber von den
Hüften bis zu den Füßen war sie in eine dünne Decke gehüllt.
Sie scheint ernsthaft krank zu sein,
dachte Tarzan. Doch nicht etwa gelähmt?
„Ich bin im Moment ganz allein hier“,
sagte sie. „Mein Vater kommt erst heute abend zurück. Meine Mutter ist
einkaufen. Das Rad steht dort hinter der Ecke.“
Pfeif’ aufs Rad, dachte Tarzan. Wir
könnten nicht mal die Klingel bezahlen. Aber — wir müssen so tun als ob... „Darf
ich’s herholen?“ fragte er.
„Natürlich.“
Es war ein erstklassiges Klapprad,
völlig neu, blitzsauber, technisch perfekt und grün-weiß lackiert.
Tarzan schob es auf der Terrasse hin
und her. „Ist Klasse. Nichts dran auszusetzen.“
Gaby und Karl schwiegen. Vermutlich
hatten sie den gleichen Gedanken. Nur Klößchen, der Tolpatsch, dachte nicht
weit genug und sprach aus, was ihm in den Sinn kam.
„Donnerwetter! Wenn ich so ein Rad
hätte, würde ich’s nicht verkaufen. Viel zu schade! Warum verkauft ihr denn
das?“
Die Antwort war anders als erwartet.
Betroffen sah das Mädchen ihn an. Ihr Gesicht wurde noch blasser. Tarzan sah,
wie die Mundwinkel zuckten. Sie wollte ankämpfen gegen ihre Tränen, aber es
ging nicht.
Schluchzend schlug sie die Hände vors
Gesicht. Ihr Kopf sank herab. Die Schultern zuckten.
Mit offenem Mund wie ein Karpfen auf
dem Trocknen sah Klößchen seine Freunde an.
„Esel!“ sagte Gaby. Sie trat zu
Claudia. Behutsam legte sie ihr einen Arm um die Schultern. „Mach’ dir nichts
draus! Er hat’s nicht böse gemeint. Niemand wollte dich verletzen.“
„Ich... ich weiß“, schluchzte Claudia. „Das
ist es auch nicht. Aber... alles... alles ist noch so neu. Ich... bin noch
nicht lange so verkrüppelt.“
„Fehlt... dir ein Bein?“ fragte Gaby
erschüttert.
„Nein. Ich bin querschnittgelähmt. Ich
kann meine Beine nicht mehr gebrauchen. Nie wieder kann ich auf einem Rad
fahren. Ich bin nur auf den Rollstuhl angewiesen. Für immer. Aber ich bin erst
16.“
Eine Weile redete niemand. Klößchen war
blaß geworden und nickte vor sich hin. Jetzt hatte er begriffen, daß es
Claudias Rad war. Und daß er unbeabsichtigt eine noch nicht verheilte Wunde
berührt hatte.
„Das tut uns sehr leid“, sagte Tarzan
heiser. „Aber ich habe schon von vielen gehört, die das gleiche Schicksal
erlitten und trotzdem viel Mut zum Leben und viel Freude am Leben haben. Es
bleibt doch ungeheuer viel für dich. Beinahe alles. Du könntest sogar heiraten
und Kinder kriegen — hübsch wie du bist. Neulich habe ich von zwei jungen
Männern gelesen, die sind als Querschnittgelähmte in wenigen Tagen von Hamburg
nach München im Rollstuhl gefahren. Wenn das keine sportliche Leistung ist!
Bestimmt packen die auch alles andere mit Mumm an und fühlen sich garantiert
nicht als Kranke.“
Claudia blickte auf. Ein schwaches
Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Es ist nett, daß du mir Mut machst.“
„Wann“, fragte Gaby vorsichtig, „ist
das denn passiert? Oder möchtest du nicht darüber reden?“
„Doch.“ Claudia trocknete ihre Tränen
mit dem Taschentuch. „Aber setzt euch doch. Dort sind Gartenstühle.“ Tarzan
bockte das Rad auf. Alle holten sich Stühle. Sie setzten sich zu dem gelähmten
Mädchen.
Himmel! dachte Tarzan. Was läuft denn
jetzt? Wir sind hier, um über ihren Vater Erkundigungen einzuholen. Überführen
wollen wir ihn. Weil er das Phantom sein könnte. Und hier sitzt dieses
armselige Mädchen. Und er ist ihr Vater. Ist das noch okay, was wir machen?
„Es war ein Unfall“, sagte Claudia. Sie
nahm eine Keksdose von Tisch und bot reihum an. Klößchen kriegte als letzter
und schaufelte sich eine Hand voll.
„Ich wurde auf einer Landstraße
angefahren“, erzählte Claudia. „Angeblich trifft den Fahrer keine Schuld. Er
hatte zwar Alkohol getrunken, aber die
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