Das Phantom auf dem Feuerstuhl
krankhaft, aber für ihn ist es das Motiv (Grund).“
„Stimmt“, meinte Klößchen. „Und
irgendwie kann ich das auch verstehen, obwohl es besser wäre, wenn er sich nur
an dem Schuldigen rächt. Was können denn die andern dafür? Naja, wer falsch
tickt, der tickt eben auch so. Au Backe!“
Verstört sah er seine Freunde an.
„Verstehst du jetzt?“ fragte Tarzan.
Klößchen nickte. „Herfurth anzeigen —
das können wir Claudia nicht antun. Sie sagt ja selbst, daß sie ohne ihre Elten
keinen Lebensmut hätte.“
Eine Weile schwiegen sie. Jeder dachte
nach.
„Wir müssen uns entscheiden“, sagte
Tarzan. „Niemand zwingt uns. Aber es nimmt uns auch niemand die Verantwortung
ab. Der Konflikt spitzt sich auf die Frage zu: Wem sind wir mehr verpflichtet —
dem gelähmten Mädchen oder der Allgemeinheit?“
„Verpflichtet“, meinte Gaby, „sind wir
nur der Allgemeinheit. Aber wir müssen uns fragen, wie es Claudia übersteht,
wenn ihr Vater ins Gefängnis wandert.“
„Eigentlich ist der doch irre“, sagte
Karl. „Er weiß, wie sehr seine Tochter ihn braucht. Und riskiert sowas.“
Nach kurzem Schweigen fragte Tarzan: „Wer
ist dafür, daß wir die Polizei auf Herfurth aufmerksam machen?“ Niemand
antwortete. Unentschiedenheit lag auf allen Gesichtern.
Tarzan nickte. „Ich weiß auch nicht,
wie ich mich entscheiden soll. Deshalb stelle ich eine dritte Möglichkeit zur
Diskussion. Sie ist nicht ideal. Aber im Moment scheint sie mir das kleinste
Übel zu sein. Wir reden mit Herfurth. Ja, ihr habt mich richtig verstanden. Wir
sagen ihm, daß wir ihn durchschaut haben. Und wir setzen ihm die Pistole auf
die Brust. Nur wenn er augenblicklich mit seiner Phantom-Tätigkeit aufhört,
schweigen wir. Dann, Freunde, wäre beiden geholfen. Claudia behält ihren Vater,
und die Autofahrer auf den Landstraßen können sicher sein, daß ihnen keine
bösartige Falle gestellt wird. Eigentlich müßte Herfurth bestraft werden. Er
hat hohen Sachschaden angerichtet, und einige Unfallopfer wurden verletzt. Aber
lebensgefährlich hat’s niemanden erwischt. Dr. Bienert ist, soviel ich weiß,
der schlimmste Fall.“
„Für den Vorschlag bin ich“, sagte Karl
sofort.
„Ich auch.“ Gaby lächelte Tarzan an. „Daß
gerade du das sagst, finde ich sehr edel.“
„Wieso?“
„Du gehörst doch auch zu seinen Opfern.
Bei dem Unfall hättest du umkommen können.“
Tarzan grinste. „Um ehrlich zu sein: Am
liebsten würde ich ihm eins in die Zähne hauen. Trotzdem — das Mitleid mit
Claudia ist größer als meine Wut.“
„Leute, das wird ein Ding, wenn wir mit
ihm reden“, meinte Klößchen. „Wann?“
„Sofort“, erwiderte Tarzan. „Das heißt:
Bis heute abend müssen wir warten. Vorher ist er nicht zu Hause. Aber
aufschieben dürfen wir nichts. Wer weiß, was er sonst inzwischen anstellt.“
„Ob Claudia was weiß?“ fragte Klößchen.
„Unmöglich!“ sagte Gaby sofort. „Niemals!
Du bist vielleicht ein Menschenkenner, Willi!“
„Wieso? Es heißt doch immer, man kann
den Menschen nicht ins Herz sehen.“
„Das stimmt zwar. Aber man spürt doch,
wen man vor sich hat. Claudia ist gutherzig und hegt bestimmt keine
Rachegefühle. Ich bin überzeugt, sie wäre am Boden zerstört, wenn sie wüßte,
was wir wissen.“
Die Bedienung brachte Getränke und Eis.
Die Kinder bezahlten sofort, denn für Tarzan und Klößchen wurde die Zeit knapp.
Sie mußten zur Arbeitsstunde ins Internat zurück.
Daß sie das Abendessen schwänzen
würden, war beschlossene Sache. Sonst würde der Abend zu kurz. Deshalb
verabredeten sie sich für 18.30 Uhr hier im Eis-Café. Es war für alle günstig
zu erreichen. Von hier wollten sie Herfurth anrufen.
„Willst du gleich sagen: Hallo,
Phantom, kommen Sie mal ins Eis-Café!“ fragte Klößchen in seiner direkten Art
Tarzan, als beide durch die Stadt zur Zubringerstraße radelten.
„Um Himmels willen, nein! Ich weiß doch
nicht, ob seine Frau mithört.“
Sie kamen gerade noch rechtzeitig zur
Arbeitsstunde.
Während Tarzan sich konzentriert auf
die morgige Physik-Arbeit vorbereitete, starrte Klößchen meistens in die Luft.
„Ich muß dauernd an heute abend denken“,
flüsterte er Tarzan zu. „Vielleicht beschließt Herfurth, uns umzubringen. Wir
sind die einzigen, die ihm gefährlich...“
„Ruhe, Sauerlich!“ rief Dr. Weniger,
der heute die Aufsicht führte.
„Willi hat mich nur gefragt, welches
der kleinste und welches der größte Vogel ist“,
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