Das Phantom auf dem Feuerstuhl
zulässige Promille-Grenze nicht
überschritten. Das war vor vier Monaten. Der Mann hat behauptet, ich wäre ihm
vor den Wagen gesprungen. Das stimmt nicht. Aber man hat ihm mehr geglaubt als
mir. Zeugen gibt es nicht. Der Mann wurde nicht bestraft. Sein Rechtsanwalt hat
für ihn einen Freispruch erzielt. Lange habe ich im Krankenhaus gelegen. Erst
nach Wochen wurde mir gesagt, daß ich eine Querschnittlähmung habe. Als ich das
erfuhr, wollte ich nicht mehr leben. Daß ich überhaupt noch da bin, verdanke
ich nur meinen Eltern. Ich habe sie sehr lieb, und sie lieben mich. Alles tun
sie für mich. Mein Vater opfert sich auf. Mutti liest mir jeden Wunsch von den
Augen ab. Das ist das einzige, was mir jetzt noch bleibt. Ohne sie... ich weiß
nicht.“
Tarzan spürte, wie er sich auf die
Lippen biß.
Jetzt ist alles klar, dachte er. Wir
brauchen nicht länger zu suchen. Herfurth muß das Phantom sein. Er ist voller
Haß. Er hat das Schicksal seiner Tochter vor Augen. Der Unglücksfahrer blieb
straffrei. Herfurth sieht das als Ungerechtigkeit. Und sein Haß wendet sich in
krankhafter Weise gegen alle Autofahrer — nicht nur gegen den einen. Deshalb
betätigt er sich als Phantom.
„...nicht wahr, Tarzan?“ sagte Gaby.
Er schreckte aus seinen Gedanken. „Wie
bitte? Entschuldige, ich habe gerade nachgedacht.“
„Ich sagte, wir werden Claudia oft
besuchen.“
„Klar!“ nickte er. „Aber nicht etwa aus
Mitleid, Claudia, damit du uns recht verstehst. Sondern weil du ein prima Mädchen
bist. Spielst du Schach?“
„Gern. Aber nicht besonders gut.“
„Ich auch nicht“, schwindelte er. „Trotzdem
— ich freue mich über jeden neuen Gegner. Da fällt mir ein: Wenn es dich
interessiert, könntest du nächsten Sonntag bei unserem Spiel zusehen. Als
Ehrengast. Wir würden dich abholen. Es geht um die Landesmeisterschaft der
Schulen im Volleyball. Wir stehen im Endspiel gegen die Humboldtschule. Das
Hinspiel haben wir verloren, und die Revanche... naja, man kann ja noch hoffen;
und wir werden unser Bestes tun.“
„Da wäre ich gern dabei“, sagte Claudia
erfreut. „Wie ist es denn nun mit dem Rad? Wollt ihr’s nehmen?“
„Für unsere... äh... Monika wird es
sicherlich zu teuer sein. Sie hat auf eine ganz alte Mühle spekuliert.“
„Zu teuer?“ rief Claudia. „Bestimmt
nicht. Ich schenke es euch.“
Beschämt schwiegen die vier Freunde.
Dann sagte Tarzan: „Das würde sie nie
annehmen. Weißt du, wir sagen ihr Bescheid. Ihr Freund wollte sich nämlich noch
nach einem anderen Rad umtun. Er hatte was in Aussicht. Falls Monika
interessiert ist, soll sie sich bei dir melden. Habt ihr Telefon?“
Claudia nannte die Nummer. Tarzan
notierte sie.
Sie blieben noch eine Weile und
unterhielten sich über das neue Jugendheim, das demnächst eröffnet werden
sollte.
Dann verabschiedeten sich die vier von
dem Mädchen, sie versprachen wiederzukommen und fühlten sich alle nicht ganz
wohl in ihrer Haut.
Claudia winkte ihnen nach. Ihr Gesicht
hatte etwas Farbe bekommen. Sie schien froh zu sein.
9. Ein schlimmer Konflikt
Das Eis-Café war fast leer. Nur an der
Fensterfront saßen ein paar Jugendliche und stachen mit langen Löffeln in hohe
Eisbecher.
Die vier Freunde zogen sich an einen
Tisch im Hintergrund zurück. Dort hörte sie niemand.
Gaby machte ein ernstes Gesicht. Karl
wirkte nachdenklich. Tarzan hatte bereits alles durchdacht und fühlte sich hin-
und hergerissen in diesem Konflikt (innerem Zwiespalt). Nur Klößchen
schien noch ganz unbelastet. Seine Sorge war, ob es hier Nougat-Eis gab.
Geredet hatten die vier über ihr Problem noch nicht. Das sollte hier geschehen.
Keine zehn Minuten lag die Begegnung mit Claudia Herfurth zurück, und jeder,
sicherlich, hatte den gleichen Eindruck gewonnen, daß Claudia ein sehr nettes
Mädchen war.
Die Bedienung kam. Nougat-Eis gab’s
nicht. Klößchen begnügte sich mit Schoko-Vanille, gezwungenermaßen. Gaby und
Karl tranken einen Milch-Shake, Tarzan eine Cola.
„Also?“ sagte er, als die Bedienung weg
war. „Jetzt sitzen wir drin bis zum Hals. Was tun?“
Karl und Gaby nickten. Klößchen fragte:
„Was meinst du?“
„Unseren Konflikt.“
„Was?“
„Himmel, denkst du denn nur noch ans
Essen? Erinnere dich mal: Wir glauben, daß Herfurth das Phantom ist. Ich bin
jetzt sogar überzeugt davon. Der Mann ist verbittert und so voller Haß, daß er
sich an allen Autofahrern für das Schicksal seiner Tochter rächen will. Sowas
ist natürlich
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