Das Phantom auf dem Feuerstuhl
ihm
unverständlich sein. In seinen Augen war das sicherlich selbstmörderisch.
„Aus euch mache ich Hackfleisch“,
schrie er.
„Hast du’s noch nicht begriffen?“
Tarzan blieb ruhig. „Meine Freunde haben mit der Sache nichts zu tun. Ich bin
verantwortlich. Also, laß’ sie in Ruhe.“
„Die interessieren mich nicht“, schrie
Iwan. „Dich dresche ich zu Brei.“
„Klar!“ nickte Tarzan. „Darauf bin ich
gefaßt. Dort hinten auf der Wiese können wir uns kloppen.“
Dieter Betz grinste. In Gedanken sah er
sich bereits als Sieger. Was sich an Wut in ihm gestaut hatte, mußte
beträchtlich sein.
Der rothaarige Junge mischte sich ein. „Ich
mache den Schiedsrichter. An den Haaren reißen, kratzen und beißen ist
verboten. Steine und Knüppel dürfen nicht benutzt werden. Gekämpft wird, bis du“,
er meinte Tarzan, „kampfunfähig bist. Oder bis du um Gnade bittest.“
Tarzan verbiß sich ein Lachen. Mit der
Möglichkeit, daß Iwan den kürzeren zog, rechnete offenbar niemand. Im Dorf war
er sicherlich der Stärkste. Und gefürchtet. Aber Tarzan wußte: Um einen Kampf
zu gewinnen, braucht man mehr als rohe Kraft. Kraft muß man anwenden können.
Dazu gehören Technik, Gewandtheit, Überblick. Als Judo-Kämpfer hatte Tarzan
bereits den blauen Gürtel errungen. Und das ist viel.
„Los, wenn du Mut hast!“ sagte Dieter
Betz feixend.
Alle setzten sich in Bewegung.
Die Wiese lag hinter dem letzten Haus.
Sie war bereits gemäht worden. Der Boden federte wie eine Matte.
Die Dorfjugend bildete einen Kreis. Der
Rothaarige tat sich wichtig und scheuchte ein paar kleinere Jungs zurück, damit
sie die Kämpfer nicht behinderten.
Verloren standen Gaby, Karl und
Klößchen in der feindlichen Schar.
„Mensch“, wurde Tarzan von Klößchen
zugeflüstert, „du hast heute mittag kaum was gegessen. Hoffentlich geht das nur
gut! Fühlst du dich schwach?“
„Ich kann mich kaum noch auf den Beinen
halten“, meinte Tarzan ironisch. „Willst du für mich einspringen?“
„O je!“ seufzte Willi. „Dieser Iwan
braucht doch nur mal tief Luft zu holen, und ich hänge ihm quer unter der Nase
— trotz meines Übergewichts.“
„Quer unter der Nase ist eine
ausgezeichnete Position. Von dort kann man Würgegriffe ansetzen, daß Iwan die
Augen wie Ping-Pong-Bälle rauskommen.“ Tarzan hatte leise gesprochen.
Jetzt trat der Rothaarige in die Mitte
des Kreises. „Die Kämpfer zu mir!“ befahl er.
Iwan stampfte wie ein zweibeiniges Nilpferd
heran. Tarzan stellte sich ihm gegenüber.
Der Rothaarige machte eine feierliche
Miene, wußte aber nicht, was er noch sagen sollte.
Scheinbar gleichgültig musterte Tarzan
seinen Gegner.
Iwan war etwa zwei Zentimeter größer
und sicherlich sieben bis acht Kilo schwerer. Seine Hose wurde von einem derben
Gürtel gehalten. Wie schön! dachte Tarzan. Genau richtig, um Griffe anzusetzen.
„Bei los! geht’s los!“, sagte der
Rothaarig und trat eiligst zurück. „Los!“
Judo, muß man wissen, geht davon aus,
daß die vom Gegner angesetzte Angriffskraft durch Umleiten, also durch
Nachgeben, gebrochen wird. Mit Wurfgriffen wird der Gegner anschließend
geschickt aus dem Gleichgewicht und blitzschnell zu Boden gebracht.
Wie eine Lawine warf Iwan sich auf
Tarzan. Der wich zurück. Dabei packte er Oberarm und Gürtel des Metzgersohns.
Es ging blitzschnell. Ko-uchi-gari heißt Kleine Innensichel. Mit einer
Beintechnik häkelt man dem Gegner das Standbein weg. Iwan stelzte plötzlich
einbeinig wie der Storch im Salat, wurde hochgerissen und mit solcher Wucht
aufs Kreuz geworfen, daß die Wiese dröhnte.
Reglos blieb er liegen.
Tarzan trat zurück und überprüfte den
Nagel seines rechten Mittelfingers. Der war ein bißchen eingerissen —
vermutlich an Iwans Gürtelschnalle abgerutscht. Aber das störte nicht weiter.
Ringsum waren fassungslose Gesichter —
bis auf die seiner Freunde.
Gaby lächelte stolz. Karl grinste.
Klößchen hielt sich eine Hand vor den Mund, um nicht laut zu kichern.
„Uuuaaah!“
Der echte Iwan, der Schreckliche, hatte
wahrscheinlich so gebrüllt, wenn er was besonders Schreckliches befahl.
Dieter Betz sprang auf die Füße. Mit
gesenktem Kopf rannte er auf Tarzan zu. Der wich aus, griff zu, ging mit,
drehte sich und setzte einen Harai-goshi an, einen Hüftfeger. Diesmal landete
Dieter Betz bäuchlings, prellte sich die rechte Schulter und schrie auf wie ein
Ferkel, das unsachgemäß geschlachtet wird.
Tarzan stemmte ihm einen Fuß
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