Das Phantom im Netz
Wartezeit auf sich, bis man sie in den Besucherraum ließ, um mich zu sehen. Die Wachleute beobachteten uns die ganze Zeit. Nur eine kurze Umarmung und ein flüchtiger Kuss waren erlaubt. Ich versicherte ihr immer wieder, dass ich nie wieder etwas Derartiges tun würde. Und wie früher auch schon, glaubte ich es wirklich.
Während ich in meiner Einzelzelle saß, verhandelte mein Anwalt Alan Rubin mit dem Staatsanwalt über einen Deal, mit dem ich ohne Gerichtsverhandlung aus dem Gefängnis kommen würde. Die Anklage lautete auf Einbruch bei DEC, Besitz von Zugangscodes der Telefongesellschaft MCI und Verursachung eines Schadens von vier Millionen Dollar für DEC – eine absurde Behauptung. DEC waren im Zusammenhang mit der Untersuchung des Vorfalls tatsächlich Kosten entstanden. Aber der Vier-Millionen-Betrag war willkürlich gewählt, um mich für möglichst lange Zeit hinter Gitter zu bringen. Mein Strafmaß hätte sich eigentlich an den Kosten für die Lizenzgebühren für den von mir kopierten Quellcode richten müssen, die ich nicht bezahlt hatte, was sehr viel weniger gewesen wäre.
Aber ich wollte in dem Fall einfach zu einer Einigung kommen und so schnell wie möglich aus dieser sargähnlichen Zelle raus. Ich wollte keine Gerichtsverhandlung, weil die Bundesbehörden auf jeden Fall genug Beweise für eine Verurteilung vorlegen konnten. Sie hatten meine Notizen und Disketten, sie hatten Lenny, der darauf brannte, gegen mich auszusagen, sie hatten das Abhörband von der letzten Hackersitzung, bei der Lenny verwanzt gewesen war.
Schließlich einigte sich mein Anwalt mit dem Staatsanwalt auf einen Deal, nach dem ich ein Jahr Gefängnishaft verbüßen musste. Sie wollten außerdem, dass ich gegen Lenny aussagte. Das war ein echter Schock für mich. Ich hatte immer gedacht, dass derjenige, der als Erstes seine Komplizen verpfiff, glimpflich davonkam, unter Umständen sogar ganz ohne Gefängnisstrafe. Aber die Bundesbehörden wollten jetzt ihren eigenen Spitzel, und meinen ehemaligen Freund, drankriegen. Ich sagte: »Klar.« Lenny hatte gegen mich ausgesagt, warum sollte ich es ihm nicht mit gleicher Münze zurückzahlen?
Bei dem Gerichtstermin aber war Richterin Pfaelzer offensichtlich voreingenommen durch die vielen Gerüchte und falschen Anschuldigungen, die man im Lauf der Zeit gegen mich vorgebracht hatte. Sie lehnte die Übereinkunft ab, weil sie die Regelung für zu milde hielt. Aber immerhin stimmte sie einer nachverhandelten Version zu, die ein Jahr Gefängnishaft gefolgt von sechs Monaten offenem Strafvollzug für mich vorsah. Außerdem wurde ich dazu verpflichtet, mich mit Andy Goldstein von DEC zusammenzusetzen und ihm zu erzählen, wie ich mich bei DEC eingehackt und ihren wertvollsten Quellcode kopiert hatte.
In dem Moment, als ich dem Deal zustimmte, verlor ich wie durch Zauberei meinen Status als »Bedrohung für die nationale Sicherheit«. Ich wurde aus der Einzelhaft in den regulären Strafvollzug verlegt. Am Anfang fühlte sich das fast so an, als hätte man mich freigelassen. Aber die Wirklichkeit der Gefängnishaft holte mich schnell wieder ein.
Während meiner Zeit als regulärer Insasse des Metropolitan Detention Center bot mir ein Mithäftling, ein kolumbianischer Drogenbaron, fünf Millionen Dollar an, wenn ich mich in »Sentry«, das Computersystem der Gefängnisaufsicht des Bundes, einhackte und für seine Freilassung sorgte. Ich tat eine Zeit lang so, als wäre ich interessiert, um ihn mir nicht zum Feind zu machen, hatte aber nie vor, auf den Vorschlag einzugehen.
Bald darauf wurde ich ins Bundesgefängnis in Lompoc verlegt. Was für ein Unterschied: Dort schliefen die Gefangenen in Schlafsälen statt in Zellen, und das Gelände war noch nicht einmal eingezäunt. Meine Mitbewohner zählten teilweise zur Prominenz unter den Wirtschaftskriminellen, darunter ein ehemaliger Bundesrichter, den man wegen Steuerhinterziehung verurteilt hatte.
Mein Körpergewicht war während meiner Einzelhaft wieder auf 110 Kilo angestiegen, da ich mich überwiegend von Seelentröstern aus dem Gefängnisladen ernährte – Leckereien wie etwa in Erdnussbutter gedippte Schokoriegel. Aber hey, wenn man in Einzelhaft sitzt, ist alles erlaubt, wodurch man sich ein bisschen besser fühlt, oder?
Aber dann, in Lompoc, überredete mich ein Mithäftling, ein cooler Typ namens Roger Wilson, dazu, ernsthaft mit dem Lauf- und Muskeltraining anzufangen und mich gesünder zu ernähren, mit Reis und Gemüse und
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