Das Phantom im Opernhaus
etwas sagte. Als Britta schließlich wieder das Wort ergriff, klang sie gefasster: »Armer Klinger. Er war ein egoistischer, ehrgeiziger und hinterhältiger Mensch. Nur auf seinen Vorteil bedacht. Aber das …« Sie schüttelte den Kopf. »Das hat er nicht verdient. Wie ist es passiert?«
»Das müssen Sie die Polizei fragen.«
»Wie Sie das betonen, ist es auch dieses Mal kein Unfall gewesen.«
Paul antwortete nicht gleich darauf. Doch die beiden jungen Frauen sahen ihn voll ungeduldiger Erwartung an, sodass er meinte, ihnen die Auskunft nicht vorenthalten zu können: »Klinger wurde mit zertrümmertem Schädel aufgefunden.«
»Hat sich vielleicht ein Teil der Bühnentechnik gelöst oder ist eine Kulissenwand auf ihn gestürzt?«, fragte Britta Kistners Begleiterin etwas unbedarft.
»Nichts dergleichen. Zumindest war rund um den Toten nichts zu sehen, was darauf hindeutet«, sagte Paul und wartete auf eine weitere Reaktion seiner Gesprächspartnerinnen.
»Dann bleibt nur Vorsatz«, meinte Britta Kistner tonlos. Sie betrachtete das kleine Bild auf dem Kamerarücken abermals eingehend, und ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet.
Auch ihre Begleiterin sah genau hin. Dann sagte sie unvermittelt: »Im Hintergrund – das ist das Bühnenbild von Elektro). «
Paul sah sie fragend an. »Und hat das eine Bedeutung?«, wollte er wissen.
Die junge Frau blickte ihn aus flackernden Augen an und presste die Lippen aufeinander. Dann erklärte sie knapp: »Strauss hat in dieser Oper einen Bühnentod vorgesehen, der Ihrem Foto genau entspricht.«
»Na ja«, widersprach ihr Britta, »ein Bühnentod ist es eigentlich nicht, oder?«
»Hast recht«, gab die andere zu. »Dann ist das sicher Quatsch …«
»Sagen Sie es trotzdem«, drängte Paul. »Was haben Sie eben gemeint?«
»Also, es ist kein Tod auf offener Bühne«, erklärte Brittas Kollegin, »aber während Elektra draußen wartet, geschieht im Inneren des Palastes der Mord – Ägisth wird erschlagen.«
10
Für Paul begann die einsame Beschäftigung des Fotografen, der heimkehrt, um seine Tagesausbeute zu sichten. Er tat dies wie immer an seinem gläsernen Schreibtisch in der Ecke seines Ateliers. Er hatte es eilig, die Daten des Speicherchips aus seiner Kamera auf die Festplatte seines Computers zu übertragen. Denn er wollte sich die unautorisierten Fotos des toten Klinger in voller Größe und Auflösung auf seinem Flachbildschirm ansehen. Der Hinweis der beiden jungen Frauen hatte ihn aufhorchen lassen – mehr als das!
Es verging keine Minute, da waren sämtliche Aufnahmen übertragen. Paul wählte aus den Vorschaubildern jenes Foto aus, auf dem Britta Kistners Bekannte das Szenenbild aus der Oper Elektra erkannt haben wollte.
Intensiv musterte er das Foto und stieß dabei fast mit der Nase an den Monitor. Zwar konnte er als Opernlaie nicht zweifelsfrei behaupten, dass es sich tatsächlich um eine Requisite aus dieser Inszenierung handelte, aber die Leiche wirkte vor der eindrucksvollen Kulissenwand wie willentlich drapiert. Paul fragte sich, warum ihm das nicht gleich aufgefallen war.
Ein Verdacht drängte sich ihm auf, worauf er flink den Bilderordner wechselte. Nun durchsuchte er gezielt die Fotos, die er zwei Tage zuvor am Fundort des anderen Toten gemacht hatte.
Diesmal war es schwieriger, eine Aufnahme zu finden, auf der einerseits die Leiche zu sehen war und die andererseits einen gewissen Überblick gewährte. Immer standen Kripoleute im Bild, außerdem erschwerten die Absperrbänder und Beweissicherungstafeln die Orientierung. Er sah sich gezwungen, Bild für Bild anzuklicken und zu begutachten. Es dauerte eine ganze Weile, bis er einen geeigneten Schuss gefunden hatte: Der tote Baumann lag im Vordergrund, dahinter war die farbenfrohe Theaterkulisse in all ihren Nuancen und Schattierungen zu bewundern. Nur – Paul kannte sie nicht und konnte sie nicht zuordnen. Um seine leise Vermutung bestätigen zu können, musste er sich vorerst also auf die Richtigkeit der Worte Victor Blohfelds verlassen. Was hatte er doch gleich über den Titel der Oper gesagt, aus der das Szenenbild angeblich stammen sollte? Irgendein Werk von Donizetti. Aber welches?
Paul hatte weder Lust noch Muße, den Reporter anzurufen und seinem Gedächtnis von ihm aufhelfen zu lassen. Zumal Blohfeld bestimmt sofort Lunte riechen und neugierige Fragen stellen würde. Also tat Paul das Nächstliegende und begab sich ins Internet.
Drei Minuten und circa 20 Klicks später hatte er
Weitere Kostenlose Bücher