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Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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angriffslustig in Pauls Richtung ausgestreckt, die Finger wie zu Krallen gekrümmt. »Was fällt Ihnen ein, in einer solchen Situation zu fotografieren?«
    Paul versuchte gar nicht erst, eine Erklärung abzuliefern, sondern zog sich mit einem angedeuteten Bedauern aus der unmittelbaren Nähe des Toten zurück. Und das genau im richtigen Moment, denn ein Trupp Uniformierter eilte an ihnen vorbei. Die Polizeibeamten begannen unverzüglich, die Schaulustigen aus dem Umfeld des Toten zu entfernen. Dabei gingen sie nicht zimperlich vor. Auch Paul wurde unsanft am Arm gefasst und aus dem Lagerraum geschoben.
    »Nicht so hastig!«, protestierte er, ohne sich jedoch zu wehren. Denn ihm war klar, dass die Ermittler weder Lust noch Zeit hatten, sich mit Störenfrieden wie ihm abzugeben.
    Zurück auf dem Flur rumpelte er, immer noch rückwärts stolpernd, mit jemandem zusammen. Er stieß auf einen weichen, fast molligen Widerstand. »Upps, bitte um Verzeihung«, sagte er und blickte in die Schweinsäuglein einer stämmigen Rettungssanitäterin.
    »Sind Sie okay?«, fragte diese, nur um im nächsten Moment an Paul vorbeizublicken. Sie war auf Haas aufmerksam geworden, der von den Polizisten ebenfalls des Raums verwiesen worden war. Der Regisseur wirkte noch immer über die Maßen aufgebracht. Eine schwer zu verkraftende Mischung aus Trauer und Wut schien von ihm Besitz ergriffen zu haben. Die Sanitäterin beobachtete ihn besorgt: »Wie es aussieht, werde ich woanders gebraucht.« Sie schob sich an Paul vorbei und ging mit beschwichtigenden Gesten auf Haas zu.
    Obwohl sich die Gruppe vor der Lagerhallentür nur langsam auflöste und immer wieder neue Schauspieler, Bühnenarbeiter, Techniker und Bürohengste aufkreuzten, sah Paul keinen Sinn darin, noch länger zu bleiben. Er ging den Flur entlang, unschlüssig über seine nächsten Schritte. Wie würde es nun für ihn weitergehen? Jetzt, da sein neuer Chef tot war, war womöglich auch der Job weg. Hinzu kam die Frage, was er mit den Fotos anstellen sollte, die er gerade so eigenmächtig und unüberlegt geschossen hatte? Zugegeben: Ein wenig reizte es ihn schon, sie an Blohfeld zu verkaufen. Der Boulevardreporter würde ein hübsches Sümmchen für den Abdruck solcher Exklusivbilder locker machen. Andererseits: Das war nicht Pauls Stil. Und es war auch nicht der eigentliche Beweggrund für Pauls spontanes Handeln gewesen. Nein, er hatte die Bilder einzig und allein gemacht, um sie später in aller Ruhe nach Hinweisen absuchen zu können – nach Hinweisen auf den Täter. Denn da Paul nicht an eine Häufung von Zufällen glaubte, glaubte er folglich auch nicht an einen Unfall. Klinger war ganz offensichtlich erschlagen worden. Die große Wunde an seinem Kopf ließ keine andere Deutung zu.
    Als Paul um die nächste Ecke bog, erfüllte ihn der Anblick eines Kaffeeautomaten mit neuer Energie. Ein Cappuccino war genau das, was er jetzt brauchte! Vor ihm waren allerdings noch zwei junge Damen an der Reihe, die gerade ihr Kleingeld herauskramten. »Ach, hallo«, sagte Paul, als er in einer der beiden Britta Kistner, seine Kantinenbekanntschaft, erkannte. Da sie und ihre etwa gleichaltrige Begleiterin bester Dinge schienen, wussten sie offenbar noch nichts von Klingers Tod. Paul hielt es für das Beste, ihnen davon zu erzählen, ehe die Nachricht die Runde machte. Sie würden die schlechte Nachricht sowieso bald erfahren.
    »Was? Mein Gott!« Britta presste sich die Hände vors Gesicht, nachdem Paul geendet hatte. »Nun auch Klinger? Ausgerechnet Klinger?«
    »Ja. Es tut mir leid.«
    »Klinger … – ich begreife das nicht.« Paul registrierte, wie sich eine feine Schweißnote unter das blumig-sportliche Parfüm der jungen Frau mischte. Sie war blass wie der Tod, als sie fragte: »Sagen Sie, Herr Flemming: Auf Ihrer Kamera … – sind da etwa Bilder von …«
    Paul nickte verhalten. Er zögerte. Dann hob er die Kamera an, brachte das Display auf der Rückseite zum Leuchten und rief eines der Bilder auf. Keine Nahaufnahme, sondern eine Totale, auf der der Tote nur am unteren Bildrand zu erahnen war. Die Wirkung war dennoch durchschlagend:
    »Wahnsinn! Das darf nicht wahr sein!« Britta taumelte zwei Schritte zurück.
    Paul sah sie sorgenvoll an. »Ich wollte Sie nicht schockieren. Es war nicht meine Absicht …«
    »Schon gut.« Britta kam wieder näher, ebenso ihre Bekannte. Beide starrten auf den kleinen Bildschirm von Pauls Kamera. Lange Sekunden verstrichen, ohne dass eine der beiden

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