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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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Monsignore Eamonn Byrne vom Irischen Kolleg in Rom gehörte. Wir hatten ziemlich viel miteinander zu tun und verstanden uns recht gut. Es stellte sich heraus, daß unsere Geburtsorte nur zehn Meilen auseinanderliegen, aber Byrne war natürlich einige Jahre älter.
    Der Kardinal reiste weiter, und ich dachte nicht mehr an seinen Besuch. Vier Wochen später kam ein Schreiben des Präfekten des Irischen Kollegs, in dem er mir einen Studienplatz anbot. Bischof Delaney ließ mich nur ungern ziehen, aber er erteilte mir seinen Segen und drängte mich, diese Chance zu ergreifen. Also packte ich meinen kleinen Koffer und fuhr mit dem Zug nach Dublin. Ich dachte, diese Stadt sei groß, bis die Fähre und ein weiterer Zug mich nach London brachten. Ich hatte noch nie eine Weltstadt gesehen und mir auch nicht vorstellen können, daß es eine so riesige und großartige Stadt überhaupt geben könnte.
    Dann fuhr ich mit der Kanalfähre nach Frankreich und wiederum mit dem Zug nach Paris. Beim Anblick dieser Stadt gingen mir fast die Augen über. Dann brachte der letzte Zug mich über die Alpen und hinunter nach Rom.«
    »Hat Rom Sie überrascht?«
    »Erstaunt und überwältigt. Die ganze Vatikanstadt,
die Sixtinische Kapelle, der Petersdom... Ich habe auf dem Petersplatz in der Menge gestanden, zu dem Balkon hinaufgesehen und den von Seiner Heiligkeit persönlich gesprochenen Segen Urbi et Orbi empfangen. Und ich habe mich gefragt, wie ein Junge von einem Kartoffelfeld außerhalb von Mullingar es jemals so weit hatte bringen können und so privilegiert sein konnte. Also schrieb ich meinen Eltern einen langen Brief über alle meine Eindrücke und Erlebnisse, und sie zeigten den Brief im ganzen Dorf herum und wurden selbst Berühmtheiten.«
    »Aber wie kommt’s, daß Sie jetzt bei uns leben, Pater Joe?«
    »Da hatte wohl wieder der Zufall seine Hand im Spiel, Pierre. Vor sechs Jahren kam deine Maman nach Rom, um dort zu singen. Ich war nie in der Oper gewesen, aber eines Abends brach einer der Sänger, ein Ire, nach einem Herzanfall hinter der Bühne zusammen. Jemand wurde losgeschickt, um schnell einen Priester zu holen, und ich hatte an diesem Abend Dienst. Ich konnte dem armen Mann nur noch die Letzte Ölung erteilen, aber deine Maman bestand darauf, daß er in ihre Garderobe gebracht wurde. Dort lernte ich sie kennen. Sie war sehr bekümmert. Ich versuchte, sie zu trösten, indem ich ihr erklärte, daß Gott niemals böswillig ist, selbst wenn er eines seiner Kinder zu sich nimmt. Ich hatte mich bemüht, Italienisch und Französisch zu lernen, deshalb sprachen wir französisch. Deine Maman war überrascht, daß jemand beide Sprachen und dazu noch Englisch und Gälisch beherrschte.

    Damals machte ihr auch noch ein anderes Problem zu schaffen. Ihre Karriere führte sie durch ganz Europa - von Rußland bis Spanien, von London bis Wien. Dein Vater mußte sich wieder mehr um seine Besitzungen in der Normandie kümmern. Du warst damals sechs Jahre und ein wilder kleiner Junge, dessen Ausbildung durch die ständigen Reisen unterbrochen wurde, noch zu jung für ein Internat, was deine Maman ohnehin nicht wollte. Ich riet ihr, einen Hauslehrer zu engagieren, der überallhin mitreisen würde. Sie dachte darüber nach, als ich mich verabschiedete, um ins Kolleg zurückzukehren und mein Studium fortzusetzen.
    Ihr Engagement in Rom dauerte eine Woche, und einen Tag vor ihrer Abreise wurde ich ins Büro des Präfekten gerufen - und dort saß deine Maman. Sie hatte offensichtlich großen Eindruck gemacht. Sie wollte mich als Hauslehrer für dich einstellen, damit ich dich weiterbilde, für deine moralische Erziehung sorge und dir auch ein bißchen die Flausen austreibe. Ich war wie vor den Kopf geschlagen und versuchte, dankend abzulehnen.
    Aber der Präfekt wischte meine Einwände vom Tisch und wies mich an, diese Aufgabe zu übernehmen. Da wir zu Gehorsam unseren Oberen gegenüber verpflichtet sind, waren die Würfel gefallen. Und wie du weißt, bin ich seither bei euch und bemühe mich, dir etwas Wissen einzutrichtern und zu verhindern, daß du ein gänzlicher Barbar wirst.«
    »Tut Ihnen das manchmal leid, Pater Joe?«
    »Nein, mein Junge. Denn dein Vater ist ein besserer
Mann, als du meinst, und deine Maman ist eine wundervolle Frau mit außergewöhnlichem Talent, das Gott ihr geschenkt hat. Ich lebe natürlich zu gut und muß für diesen Luxus Buße tun, aber ich habe erstaunliche Dinge gesehen: atemberaubende Großstädte,

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