Das Pharma-Kartell
länger.
Dennoch lebt die Pension hinter den herabgelassenen Jalousien. Aus dem Speiseraum sind Stimmen zu hören, und ich zögere einen Moment, ob ich nicht hier zu Mittag essen soll – hier ist es behaglich und nicht so heiß. Doch Noah wartet auf mich.
Ich steige hinauf, schließe die Tür auf und sehe mich aufmerksam um. Ich habe da so meine Gründe – möchte wissen, ob sich jemand allzu sehr für meinen Koffer interessiert hat. Mittel, um das festzustellen, gibt es.
Nein, niemand ist in meinem Zimmer gewesen.
Ich suche heraus, was ich an Unterlagen brauche. Jetzt muss ich auch noch Larcheys Zimmer kontrollieren. Ich benötige seine Berichte für ein paar Vergleiche.
Im Korridor oben kommen mir zwei Frauen entgegen, wir grüßen uns, sie verlangsamen unwillkürlich ihre Schritte. Sicherlich möchten sie gern wissen, wohin ich gehe, oder mich fragen, ob ich etwas über Larchey erfahren habe. Meine Miene ist jedoch nicht dazu angetan, sie zu solchen Fragen zu ermutigen.
Ich warte, bis sie verschwunden sind, schließe auf und überprüfe die winzige, wohlverborgene Apparatur, die beim Öffnen der Tür eingeschaltet wird. Sie gehört zu den bescheidenen Mechanismen, die keinen Alarm schlagen, niemanden wecken, sondern nur gewissenhaft denjenigen fotografieren, der das Zimmer betritt. Die Mikrokamera ist nicht ausgelöst worden. Ich hatte auch nicht viel von ihr erhofft, als ich sie gestern Abend anbrachte. Wer in dieses Zimmer wollte, ist sicherlich längst drin gewesen und dürfte wohl kaum wiederkommen. Ich habe gewusst, dass es nutzlos war.
Alles ist so, wie ich es zurückgelassen habe. Das exakt gemachte Bett, die Bücher, die Mappen auf dem Schreibtisch. Hinter den herabgelassenen Jalousien warten die Sachen Doktor Larcheys im Halbdämmer auf ihn. Sie leben ihr eigenes Leben, und es ist etwas Trauriges in ihrem Warten. Für sie bin ich ein Fremder.
Ich gehe zum Schreibtisch, klappe die oberste Mappe auf und nehme den letzten Bericht heraus. Und ziehe, mehr aus Gewohnheit als in irgendeiner Absicht, an der Schublade. Ich weiß, dass sie abgeschlossen ist. Das Schubfach geht auf.
Und gleich beim ersten Blick nach unten erstarre ich vor Überraschung. Das Mordfeuerzeug ist weg.
Zimmer Nummer 39
Das kann doch nicht sein!
Ich schalte die Schreibtischlampe an, ziehe das Schubfach ganz heraus, schiebe die akkurat geordneten Bleistifte und Lineale durcheinander. Das Unwahrscheinliche ist eingetroffen. Ich bin der Betrogene, der Irregeleitete. Es ist, als schaue mir jemand von der Seite mit einem spöttischen Grinsen zu, wie ich dumm in dem Schreibtisch herumwühle, und lache mich aus. Nach und nach geht die Überraschung in Wut über. Es ist eine sinnlose, unnötige Wut, aber ich kann nichts dagegen tun.
Ich gehe zur Tür zurück, untersuche wieder und wieder mit vergeblicher Hoffnung die Mikrokamera. Es ist nur einmal ausgelöst worden, als ich sie eben aufgemacht habe, und hat wahrscheinlich bloß meine kluge und allzu selbstsichere Physiognomie festgehalten.
Mit zwei Schritten bin ich an der Tür zu dem winzigen Balkon. Sie ist von innen abgeschlossen. Hier ist niemand hereingekommen.
Ich brauche Zeit, um mich zu beruhigen und nachzudenken. Das sage ich mir ein paar Mal vor, setze mich in den Sessel und versuche tatsächlich, ein paar Minuten ruhig nachzudenken. Meine Wut ist noch nicht verraucht, aber nun kommen ein wenig nüchterne Selbsteinschätzungen dazu. Ich bin nicht der Klügste. Was habe ich mir denn eingebildet? Komme her, stelle eine Falle und erwische das Wild: ein Tusch! Wie einfach alles ist, wenn wir genial sind! – Wir sind nicht genial, und das hat man mir überzeugend bewiesen.
Nachdem ich diese einfache Wahrheit festgestellt habe, muss ich mir auch die Fakten ansehen.
Die beiden Türen und das Fenster waren verschlossen. Ich habe eine Mikrokamera angebracht, die jeden Hereinkommenden hätte fotografieren müssen, aber niemanden fotografiert hat.
Das Feuerzeug war da, ich habe es gesehen, als ich das Schubfach abschloss. Jetzt ist das Schubfach frech aufgeschlossen, und das Feuerzeug fehlt. Jemand hat es gebraucht und erfolgreich an sich gebracht. Dann ist er ungehört und ungesehen verschwunden. Wie ungehört und ungesehen, muss jetzt festgestellt werden. Entscheidend ist jedoch, dass er das Zimmer verlassen, die Tür abgeschlossen hat – wenn er das Zimmer überhaupt aufgeschlossen hat – und seiner Wege gegangen ist.
Hier gibt es keine Toten, aber das beruhigt mich
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