Das Pharma-Kartell
Licht die bösen Kräfte anlocken, die draußen toben. Jetzt kann man auch nicht arbeiten. Ich lege mich angezogen aufs Bett und versuche erneut, die Dinge zu überdenken.
Ich darf mir nichts vormachen, ich habe einen klugen Gegner. Wenn ich bisher geglaubt habe, ich könne Larcheys Verschwinden allein aus seiner Person erklären, mit seinem Charakter oder einer vorübergehenden Verirrung, so muss ich diese Illusion jetzt aufgeben.
Licht, Finsternis, Donner… Über die Innenseite der Fensterrahmen laufen dünne Wasserfäden. Irgendwo knallt eine Tür.
Die Falle, die ich vorbereitet habe, hat sich als nutzloses Spielzeug erwiesen. Und das Feuerzeug ist weg. Es ist entweder ein Beweisstück oder wird in kürzester Zeit zum Corpus Delicti eines Verbrechens werden. Unter der Nase hat man es mir aus einem Schubfach stibitzt, das mit einem Sicherheitsschloss abgesperrt war. Nur das. Derjenige, der hier drin war, will töten. Nichts anderes interessiert ihn. Gleich gestern Abend hätte ich es an mich nehmen müssen. Weshalb habe ich es überhaupt dagelassen? Weil ich mich zu sehr auf das Schema verlassen habe, das ich mir ausgearbeitet hatte. Und das hat sich als falsch erwiesen.
Trotzdem muss ich den Film entwickeln, um mir die Fingerabdrücke anzusehen. Kann sein, sie sagen mir was beim Vergleichen. Doch die Stimmung, die sich meiner bemächtigt hat, lässt mich von diesem Vergleich nicht allzu viel erhoffen.
Widerstrebend erhebe ich mich vom Bett – jetzt merke ich, dass ich müde bin – und befasse mich mit der Fototechnik. Draußen schlägt die Sturzflut noch an die Fenster, aber ihre Kraft hat nachgelassen – das Haus ächzt jetzt anders. Und die Blitze scheinen auch zahmer zu werden. Ihr Widerschein ist grellviolett. Was hat Poletti gesagt? Ein kräftiges Gewitter heute, und wir haben morgen ideales Surfingwetter. Sieht so aus, als wäre ich allzu versessen darauf, zu diesem Surfing zu gehen.
Nach fünfzehn Minuten bin ich mit den Filmen fertig. Ich lege mein Lupensortiment parat und beginne mit dem Vergleichen. Der Zufall hilft nicht bloß meinem Gegner. Ich habe mich mit der Frage des Zufalls ebenfalls befasst und mir Fingerabdrücke von einer Menge Leute beschafft – angefangen von Madame Emma bis hin zu Inspektor Samat.
Die Schlussfolgerungen ergeben sich schnell und sind eindeutig.
Erste Schlussfolgerung: Es gibt neue Abdrücke. Sie sind dazugekommen, nachdem ich gestern in dem Zimmer war, denn manche überdecken die von Jamila und Fabre. Besonders die von Fabre, der nach Larcheys Verschwinden im Zimmer war.
Zweite Schlussfolgerung: Die neuen Abdrücke stammen von Doktor Larcheys Fingern. Ein Irrtum ist ausgeschlossen, es sind seine.
Ein merkwürdiges Gefühl regt sich in mir. Ich glaube nicht an das Offensichtliche. Mein Beruf hat mich gelehrt, der menschlichen Logik und materiellen Beweisen recht zu geben. Und er hat mich gelehrt, dass diese Logik mitunter täuschen kann. Zwei und zwei ist nicht immer vier. Und was die materiellen Beweise angeht, so habe ich auch da meine eigene Meinung. Weil ich schon ein Messer mit dem Blut eines Ermordeten gesehen habe, der vergiftet worden war. Oder einen Strick, mit dem sich einer aufgehängt hat, und alles war sonnenklar. Klar war nur nicht, wieso der Strick ein paar Zentimeter zu kurz war, um eine Schlinge zu machen und ihn über den Ast werfen zu können. Aber das sind Geschichten für sich. Ich traue den Fingerabdrücken nicht.
Draußen auf dem Korridor gehen ab und zu Leute vorbei.
Das Gewitter ist abgezogen, auf der Treppe gehen Schritte hinauf und hinunter. So sind auch andere Schritte näher gekommen, leicht und geräuschlos – Larcheys Schritte. Die Tür wurde geöffnet, er hat sich nicht lange aufgehalten, sondern alles in wenigen Minuten erledigt. Dann ist er hinausgegangen, und seine Schritte haben sich in den vielen anderen Geräuschen der Pension aufgelöst.
Falls es Larchey gewesen ist.
Bestimmt habe ich Halluzinationen.
Ich höre leichte, leise Schritte die Treppe heraufkommen, ein Stück den Korridor entlanggehen und auf der anderen Seite der Tür stehen bleiben. Wenn ich die Luft anhalte, könnte ich den anderen atmen hören. Es sind keine Halluzinationen, dort steht jemand, der zögert. Aber das ist absurd, es kann nicht sein, dass jemand jetzt versucht, hier einzudringen.
Natürlich ist es absurd. Es klopft leise an die Tür, und ich vernehme Madame Emmas Stimme: „Sie werden verlangt, Monsieur.“
Ich mache auf. Sie lächelt
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