Das Pharma-Kartell
Schritte nach links und stelle mich an das Scheibenfenster. Ich möchte das Bild von dort aus sehen, wie es sich der diensthabenden Küchenfrau dargeboten haben kann.
Vergebens. Von dem Fensterchen aus ist nur ein Teil des Korridors zu überblicken, die Aufzugtüren bleiben im toten Winkel. Obendrein hat sich die Küchenfrau nicht dafür interessiert, wohin Doktor Duwad eilte und wer hinauffuhr.
Moment, und wer herunterkam?
Die Frage taucht urplötzlich auf und bringt das System ins Wanken, das ich mir errichtet habe. Wenn der Mörder nicht aus dem Gang zur Wäscherei gekommen ist, dann ist er von oben gekommen. Oder er hat den Aufzug im ersten Stock abgepasst. Damit ergeben sich ganz andere Lösungsmöglichkeiten. Dann kann er wie ein Kranker von den Stationen ausgesehen haben. Warum er? Sie kann ausgesehen haben wie eine Schwester. Sie hat die Tür aufgemacht und Doktor Duwad um Erlaubnis gebeten einzusteigen. Der war ohne Bewachung, fast schon am Ziel, und hat deshalb kein Risiko eingehen wollen.
Und der andere hat unten gestanden – zehn Minuten, fünfzehn, eine halbe Stunde… Hat begriffen, dass das Spiel verloren ist, sich in den Park zurückgezogen oder voll unterdrückter Wut auf die erleuchteten Fenster im ersten Stock gestarrt. Der Wagen hat in der nächsten Straße auf ihn gewartet und ist erst abgefahren, als die blauen Glühwürmchen der Polizeiautos auftauchten und alles klar war.
Wie es genau war, werden wir nicht erfahren. Samat gibt schon das Zeichen. Einen seiner Leute lässt er als Wache im Parterre zurück, und wir gehen durch denselben Hinterausgang hinaus. Auf meine Frage, was wir jetzt mit O’Sullivan machen, wird er nachdenklich, aber ich sehe ihm an, dass er bei der neuen Komplikation jetzt nicht die geringste Lust hat, sich mit O’Sullivan zu beschäftigen.
„Machen wir bis morgen Abend weiter?“, schlage ich vor.
Morgen bedeutet heute. Draußen wird es hell. Die Nacht liegt noch über der Stadt, aber das gelbe Licht der Lampen im Park ist leicht verblasst. Die Polizeiautos sind auf den sandbestreuten Alleen hereingefahren, halten unter den Bäumen, und um ihre roten Rücklichter bewegen sich undeutliche Schatten.
Ich steige mit Samat in das erste Auto, und wir fahren ohne viel Lärm ab. Hinter uns manövriert vorsichtig das zweite Auto – ein Polizeikrankenwagen. In ihm liegt der falsche Duwad, und wir geleiten ihn auf seinem letzten Weg – zum Pavillon in dem Garten, wo vor nur zwei Tagen O’Sullivan gelegen hat.
Der Schütze versteht etwas von Anatomie. Die Kugel ist rechts am Brustbein vorbeigegangen und hat eine der Lungenvenen nahe am Herzen zerrissen. Der Tod ist fast augenblicklich eingetreten. Der, dessen Namen wir noch nicht kennen, hat nicht einmal Zeit gehabt, einen Schrei auszustoßen. Und selbst wenn er geschrien hätte, niemand hätte ihn hören können. Bloß der andere, dessen einzige Sorge es nun schon war, unbemerkt zu verschwinden und das Feuerzeug an einer geeigneten Stelle wegzuwerfen.
Der Gerichtsmediziner holt die Kugel heraus und zeigt sie mir auf der flachen Hand. Eine Spezialanfertigung, an dem einen Ende vom Aufschlag auf Kleidung und Gewebe leicht abgeplattet. Nur für einen Schuss aus geringster Entfernung. Wenn ich sie in jener Nacht aus dem Feuerzeug genommen hätte, lägen die Dinge jetzt anders. Doch in unserem Beruf gibt es wohl kein überflüssigeres Wort als „wenn“.
In dem scharfen bläulichen Licht sieht das Blut braun aus, das Gesicht des Toten wie eine Wachsmaske. Die andere Maske ist abgenommen, doch mir kommt es weiterhin so vor, als sähe ich Duwad – so stark war der erste Eindruck dort in der Kabine des Aufzugs.
Jetzt liegt er also vor mir, nicht nur als Foto. Und er sieht nicht wie ein reicher Kaufmann oder Theaterproduzent aus. Einfach einer von Fra Melins Leuten. Sein feminines Gesicht ist in einer Grimasse der Überraschung erstarrt. Der Kollege setzt seine Arbeit fort. Samat und ich gehen in den Nebenraum, um uns seine Sachen anzusehen. Es ist, als wiederhole sich alles von neulich – die Kleidung liegt wieder genauso geordnet da, Sakko, Hemd, Binder, Wäsche… Kleine Dinge: Brieftasche, eine hübsche Krawattennadel, Uhr, ein paar Münzen, ein Kugelschreiber. Und eine entsicherte Pistole. Er ist so überrascht worden, dass er keine Zeit gefunden hat, danach zu greifen.
Neben der Pistole liegt die Maske, ein Häufchen unscheinbares Latexgemisch, und weiter weg ein merkwürdiger Gegenstand. Samat beachtet die
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