Das Pharma-Kartell
Maske gar nicht, obwohl sie sicherlich recht interessant ist, sondern hebt vorsichtig diesen Gegenstand auf und hält ihn ins Licht.
Es ist so etwas wie eine lange Metallnadel in einem durchsichtigen Etui. Am oberen Ende ist ein kleiner Griff, das spitze Ende ist frei. Ich bin ebenfalls neugierig, weil ich ahne, was es ist.
„Eine Spinella“, sagt Samat.
Spinella heißt Stachelchen. Hinter dieser Verkleinerungsform verbirgt sich eine furchtbare Waffe. Der Stachel ist hohl, darin befindet sich ein einziger Tropfen Gift. Aber ein Gift, vor dem sich die Königskobra schamhaft verkriechen würde. In den Lehrbüchern steht nichts von solchen Erfindungen der modernen Chemie, aber es gibt sie. Die Lähmung tritt innerhalb von sieben Sekunden nach dem Stich ein. Das Opfer sieht und hört alles, denn das Bewusstsein bleibt erhalten, ist sogar geschärft. Und es stirbt an Erstickung, weil die Atmung aussetzt.
Die Spinella war für O’Sullivan bestimmt. Mir läuft es kalt über den Rücken, und ich kann den unangenehmen Schauer nicht unterdrücken. Im Menschengedränge auf der Straße geht so eine Bestie mit femininen Zügen und gelocktem Haar an einem vorbei. Du spürst den Kratzer gar nicht, weil er dich angestoßen hat und sich entschuldigt. Dann verändert sich die Welt, wird kristallklar und erstarrt. Jede Zelle deines Körpers schreit vor Schmerz und Todesangst. Und die Bestie kommt dir sogar noch zu Hilfe. („Helfen Sie, dem Herrn ist schlecht geworden!“)
Nirgends sonst empfinde ich solchen Abscheu wie bei Giftmorden. Die Pistole ist immerhin eine würdige Waffe, weil sie ein Risiko birgt. Gift ist die Waffe der Feiglinge. Solche wie dieser da müssen verfolgt und vernichtet werden wie… ich kann nicht einmal sagen wie was. Er hat bekommen, was er verdient hat, und wenn Larchey ihn erschossen hat – um so besser!
Ähnliche Gedanken scheinen Samat zu bewegen, denn er äußert etwas über heimtückische Morde und holt aus dem Schrank ein Stahlröhrchen, in das er die Spinella legt. Das Vertrauen zwischen uns ist nach der Verstimmung im Büro wiederhergestellt.
„Schauen wir uns die übrigen Sachen an“, schlägt er vor. Gerade das tue ich im Augenblick. Vor allem beschäftigen mich die Uhr und die Krawattennadel. Ich würde gern wissen, ob diese Uhr nicht zufällig etwas Besonderes an sich hat.
Hat sie nicht. Dafür wiederum entspricht die Krawattennadel, wie man so sagt, den Erwartungen. Auf der Unterseite des Steins ist das Miniaturmikrofon eingebaut, das ich suche.
Sicherlich sind wir außer Reichweite des Empfängers, dennoch halte ich Samat wortlos das Mikrofon hin. Er nickt und sagt leichthin: „Nun, es hat offenbar keinen Sinn.
Legen wir das da ’rein und fahren in die Kommandantur, das ist vielleicht nützlicher.“
Bei „das da“ macht er ein Holzkästchen auf und bedeutet mir, die Nadel hineinzutun.
Irgendwie möchte ich mich nicht sofort von dieser Nadel trennen. Ich kenne sie.
Und ich kann sie eigentlich nicht kennen, weil ich diesen femininen Typ nie gesehen habe. Die Männer, denen ich hier begegnet bin, haben keine solchen Nadeln getragen. Überhaupt sind Krawattennadeln im glutheißen Al Agadir eine Seltenheit. Krawatten haben sie aus dem offiziellen Anlass beim Surfing getragen.
Samat wundert sich über mein Schweigen und steht mit dem offenen Holzkästchen in der Hand da, während ich mein Gedächtnis anstrenge. Van Basten? Nein, seine Krawatte hing schief am Hals. Wahlstrom? Hatte keine Nadel. Poletti? Seine Nadel war anders, sie ist mir damals schon aufgefallen – sie hatte einen Brillanten, dieser Stein hier ist jedoch dunkelorange.
Mein Gedächtnis täuscht mich nicht, ich habe diese Nadel schon gesehen!
Ich drehe sie zwischen den Fingern, spüre, dass es mir jeden Moment einfallen wird…
Ja! Nicht die Nadel und nicht bei einem Mann. Anja Krügers Ring!
Sie haben etwas gemeinsam. Die Goldfarbe und eine auf den ersten Blick nicht erkennbare Ähnlichkeit – der Stein ist anders, aber auf die gleiche achteckige Art geschliffen. Und die Feinheit der Gravur. Die Handschrift des Juweliers.
„Sie haben recht“, sage ich, „es hat keinen Sinn.“
Und lege die Nadel in das Kästchen.
Samat sieht mich aufmerksam an, er merkt, dass etwas ist, stellt aber keine Fragen.
Im Aufbrechen werfen wir noch einen Blick nach nebenan, wo der Gerichtsmediziner seine Arbeit beendet. Es ist nichts Bemerkenswertes mehr. Aber was er gefunden hat, genügt ja.
Wir treten ins Freie, und
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