Das Prinzip Selbstverantwortung
ideologisch oder machtgestützt wäre. Ganz nüchtern – weil uns die Neurophysiologie sagt:
Verstehen ist unwahrscheinlich.
Am Anfang war das Wort. Gleich danach kam das Missverständnis. Unsere Sprachzeichen reichen zwar im Regelfall aus, um miteinander zu kooperieren. Wir sind sogar zu beeindruckenden Kooperationsleistungen in der Lage. Aber in letzter Konsequenz werden wir den anderen nie verstehen. Wir werden nie wissen, wie er uns erlebt. Wir werden nie wissen, wie sein inneres Bild aussieht, wenn wir beide glauben, wir sprächen über den gleichen Sachverhalt. Selbst wenn Sie zwanzig Jahre lang mit Ihrem Kollegen zusammenarbeiten: Sie haben nicht den Schatten einer Ahnung, wie er
Sie
erlebt.
Dass Verstehen unwahrscheinlich ist, zeigen schon die Wort-Anteile:
ver(für)…
und …
stehen
. Rein mechanisch ist es unausführbar: Genau an dem Ort, an dem der eine steht, kann zur gleichen Zeit niemand anderes stehen. Gleichzeitig, gleichortig können wir nicht stehen. Nicht-Verstehen ist der Normalzustand.
Wir können zwar die Falschmünzen unserer Sprachzeichen austauschen. Aber auch diese werden wieder unterschiedlich interpretiert, mit individueller Be-Deutung versehen. Theodor W. Adorno schrieb: »Ich versuche das, was ich erkenne und was ich denke, auszusprechen. Aber ich kann es nicht danach einrichten, was man damit anfangen kann und was daraus wird.« Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass wir die Dinge, auf die es am meisten ankommt, nur zu uns selbst sagen, und zwar in einem Dialekt, den wir nur selbst verstehen. Als Robert Schumann einmal gebeten wurde, eine schwierige Etüde zu erläutern, spielte er sie ein zweites Mal.
Die einzige Rechenschaft, die wir über das Zusammentreffen zweier Freiheiten ablegen können, ist eine intuitive. Wir glauben |121| zu wissen, dass wir den anderen verstanden haben. Und dieser Glaube reicht ja auch für die normalen Kooperationen im Unternehmen aus. Ja, es ist aus dieser Perspektive schon ein Wunder, dass die Zusammenarbeit im Regelfall so gut klappt. Es erklärt aber eben auch, dass es einen unwiderlegbaren Anteil des Nichtverstehens gibt, der insbesondere in Situationen hoher sozialemotionaler Dichte entscheidet.
Es ist mithin unsinnig, wie das gegenwärtig immer noch geschieht, von einer »Kommunikationsstörung« zu sprechen. Sie hat die Idee einer »störungsfreien« Kommunikation zum Hintergrund, was der Kongruenz innerer Landkarten, mithin einer geklonten Mitarbeiterschaft gleichkäme. Missverständnisse sind auch bei noch so idealem kommunikativem Verhalten unvermeidbar. Sie sind die Regel, nicht die Ausnahme.
Ist aber »Miteinander-reden« nicht das Mitteilen von Gemeinsamkeiten? Es gilt zwar als Basis für Gemeinschaft und Team im Unternehmen, ist aber das Gegenteil: ein Wolf im Schafspelz. Begreift man Botschaften als Container für »objektiv« vorhandene Inhalte, dann sind sie für alle »objektiv« – für den, der sie hineinlegt, und den, der sie entnimmt. »Versteht« der andere nun aber nicht »richtig«, besteht die verständliche Tendenz, den anderen als inkompetent oder rebellisch abzuwerten. »Sie verstehen mich nicht!« – Wer so spricht, bestimmt, was der Erfolg von Kommunikation ist. Damit ist das Verhältnis der beiden Gesprächspartner asymmetrisch. »Verstehen« wird vom Sprecher entschieden und nicht gemeinsam mit dem Hörer. Die Ziele des Sprechers sind übergeordnet. Im besten Fall lastet man einem »technischen Übertragungsfehler« die Schuld an. »Er kann nicht richtig zuhören«, heißt es dann. Aber auch da entscheidet der Sprecher, was »richtig« ist. Im schlimmeren Fall ist es ein Ärgernis. Der Aggressionspegel steigt. So entpuppt sich das Sprachbild vom »Verstehen« als das, was es schon immer war: die Behauptung eines Deutungsmonopols. Diese Vereinseitigung ist der Anspruch, ablehnen zu können, was andere einer Botschaft entnehmen; die Anmaßung dessen, der recht hat; die Autorität, zu entscheiden, was als
wahre
Interpretation und Perspektive zu gelten hat.
|122| Es ist mithin viel nützlicher, Missverständnisse als Hinweis darauf zu nehmen, dass wir versäumt haben, unsere inneren Landkarten, unser persönliches Erleben beständig abzugleichen. Das weist wiederum darauf hin, wie wichtig Feedback ist.
»Wir verstehen uns« ist eine schöne Illusion; im betrieblichen Alltag ist sie gefährlich. Bei normalen Arbeitsabläufen mag die Illusion genügen, um einigermaßen problemlos zu kooperieren. Schwierig wird es in
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