Das Prinzip Selbstverantwortung
Situationen hoher sozialer Komplexität, bei Auseinandersetzungen, schwierigen Entscheidungen, Marktturbulenzen, im Mitarbeitergespräch, bei Zielvereinbarungen. Diese Illusion gaukelt eine Verstehens-Sicherheit vor, die verstörende Konsequenzen haben kann. Sie ist das Einfallstor für viele Enttäuschungen und Irritationen. Gerade in prekären Lagen wie etwa Konflikten gibt ja der Faktor, der unsere eigene Subjektivität repräsentiert, den Ausschlag. Dann springt bei desaströsen wechselseitigen Wahrheitsansprüchen, Schuldzuweisungen und integritätszerstörenden Rechtfertigungen die Katze kreischend aus dem Sack: »Das sehen Sie völlig falsch!« Das kann aber niemand falsch sehen. Das sieht er nur anders. Vom Konzept »Verstehen« ausgehen heißt: bereit sein für ein dornenreiches Leben voller Enttäuschungen.
Warum ich das schreibe? Das Unternehmen ist um das Verstehen herum »gebaut«. Und genau darin besteht das innerbetriebliche Kommunikationsdrama – in dem Glauben: »Der andere muss das doch genauso sehen«, in der Illusion: »Alle sprechen über das gleiche«, in dem Handeln: Monologe, Anweisungen, Top-Down-Information. Und in der Konsequenz: Nicht-Verstehen. Unverständnis. Nicht einverstanden sein. No commitment.
Für unser Leben im Unternehmen kommt noch etwas Folgenreiches hinzu: Erst in zweiter Linie ist Verstehen ein sprachliches Phänomen; in erster Linie ist es sozial-emotionaler Natur. Ohne ein Mindestmaß an
gewollter
Gemeinsamkeit, ohne den
Wunsch
, zu verstehen, ohne die innere Bereitschaft, die unterschiedlichen Vorstellungen einander anzunähern, ist Verstehen nicht einmal näherungsweise wahrscheinlich. Dazu müssen wir aber erst einmal die Unterschiedlichkeit der individuellen Wirklichkeitskonstruktionen anerkennen.
|123| Verstehen ist somit abhängig von der Qualität der
Beziehung
. Wo Sympathie und Ernstnehmen fehlen, wo die Aversion und die Objektbeziehung vorherrschen, ist kaum die Neigung vorhanden, das vorgeschlagene Informationsangebot in sich selbst zu erzeugen, überhaupt an sich herankommen zu lassen. Nach-zudenken. Die emotionale Blockade verweigert die Annahme der Botschaft. »Verstehen ist ohne Wohlwollen unmöglich«, schrieb Max Frisch.
Ich kann es nicht klar genug sagen:
Es geht nicht darum, den
anderen zu verstehen.
Das Ernstnehmen will sich nicht einfühlen, interpretieren, analysieren. Ich respektiere den anderen in seiner Unverstehbarkeit. Ich achte seine Ich-Grenze, die unverrückbar zwischen uns liegt und ebenso verbindet wie trennt. Unter Partnern gilt: Wo stehen Sie? Wo stehe ich? Was sind Ihre Interessen? Was sind meine Interessen? An welchem Punkt arbeiten wir zusammen? Dazu muss ich nicht (in einem analysierenden oder interpretierenden Sinn) verstehen. Dazu muss ich hören. Dazu muss ich sagen.
»Ich verstehe« ist also keine sinnvolle Aussage. Sinnvoll kann eigentlich nur der Beobachter sagen, wenn der andere das tut, was der Beobachter beabsichtigt: »Du verstehst.« Streng genommen kann man nur dann wissen, was man gesagt hat, wenn man die Worte des anderen hört bzw. sein Handeln sieht. Dieses Anerkennen hat Norbert Wiener auf treffende Weise so ausgedrückt: »Wie soll ich wissen, was ich gesagt habe, solange ich nicht die Antwort darauf gehört habe?«
Verstehen heißt Antworten.
Wie wichtig es ist, dass innerhalb eines Teams gewisse Werte, Muster und Regeln, kurz: eine bestimmte »Wirklichkeit« geteilt wird, liegt auf der Hand. Wählen Sie eine Wirklichkeit, in der alle gerne mitspielen! Diese Wirklichkeit müssen Sie immer wieder neu erfinden und begründen. Dieses Modell bildet die »Geschäftsgrundlage«. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass der andere »in etwa« auch über das spricht, über das Sie sprechen. Wenn Sie aber in dem Bewusstsein leben, dass Sie nicht sicher eine gemeinsame Sichtweise voraussetzen können, werden Sie sich um so behutsamer herantasten.
Sie werden eine gemeinsame Wirklichkeit
vorsichtig und in gegenseitigem Respekt aufbauen.
Die |124| Verstehenslücke so klein wie möglich machen, indem Sie alles unterlassen, was Verstehen noch mehr behindert, als es ohnehin schon ist. Dazu bedarf es der inneren Einstellung des »Verstehen ist unwahrscheinlich« und der daraus resultierenden Neugier für die andere Perspektive. Sie müssen dem Nicht-Verstehen entgegenarbeiten
wollen
.
Kommunikation
Die Annahme, alles Erkennen habe konstruktive Züge, bietet nun aber keinerlei Basis für die viel stärkere Behauptung,
Weitere Kostenlose Bücher