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Das Prinzip Selbstverantwortung

Titel: Das Prinzip Selbstverantwortung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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alles Erkennen sei
nichts anderes
als freie Erfindung. Ich rede hier nicht dem willkürlichen Spiel des interpretatorischen Nonsens das Wort. Er wäre aufgrund seiner Beliebigkeit selbst despotisch: die Demokratie der Sinnverdrehung. Eine Situation verantwortlich (»antwortend«) zu beschreiben, dem anderen wohlwollend, also verantwortlich zu erwidern, heißt keinswegs Realitätsbezug als Schattenboxen oder, wie man so treffend sagt, »Spiegelfechterei«. Es heißt, sich um Beziehung, um Gangbarkeit, um Funktionieren zu bemühen.
    Daraus, dass Wirklichkeit nicht beobachterunabhängig »da draußen« ablesbar ist, folgt mitnichten, alle Wirklichkeit sei im Grunde nur Schein, Fiktion oder eine reine Geschmackssache. Es folgt nur, dass Wirklichkeit durch Kommunikation erzeugt und dann auf ihre Brauchbarkeit hin getestet wird. Der Kybernetiker Ernst von Glasersfeld unterscheidet erhellend zwischen »stimmen« und »passen«: »Ein Schlüssel ›passt‹, wenn er das Schloss aufsperrt. Das Passen beschreibt die Fähigkeit des Schlüssels, nicht aber das Schloss. Von den Berufseinbrechern wissen wir nur zu gut, dass es eine Menge Schlüssel gibt, die anders geformt sind als unsere, aber unsere Türen nichtsdestoweniger aufsperren.« Wir »entschlüsseln« also keine Botschaften. Wir suchen, besser noch:
formen
allenfalls Schlüssel, die passen. Es geht daher um Nützlichkeit, nicht um Wirklichkeit. »Passt schon«, sagen die Franken.
    Den »Schlüssel zum andern« versprechen mithin viele Führungsratgeber, die mit der Komplizenschaft der Psychologie »verstehen |125| wollen« sagen, »steuern wollen« meinen. Ein solches Bewusstsein will nicht
mit
dem Mitarbeiter reden, sondern
über
ihn. Da stehen Sätze wie: »Behandle Deinen Mitarbeiter so, wie Du selbst behandelt werden möchtest.« Überall wird diese Auffassung kolportiert, überall steht sie in Führungshandbüchern zu lesen. Man nickt allseits versonnen und hält diesen Spruch für das Sinnzentrum abendländischer Führungsweisheit. Dabei ist er bestenfalls dumm. In blinder Selbstüberhebung macht er die eigenen Erfahrungen verbindlich für alle anderen. Die eigenen Wertmaßstäbe erhalten die Weihen universaler Gültigkeit. Mit welchem Recht? Weil man Chef ist? Weil man selbst immer ein bisschen mehr Recht zu haben glaubt? Das ist dann nur noch schlicht und nicht mehr ergreifend.
    Aber ist denn die Alternative gültig? Etwa: Behandle Deinen Mitarbeiter so, wie
er
behandelt werden möchte? Das griffe ebenso kurz. Es wäre auch nur die eine Hälfte. Praktischer ist es, sich dem anderen zuzuwenden. Sie können ihn fragen. Dazu müssen Sie sich für den anderen, für seine Sichtweise wirklich interessieren (lat. »inter-esse« heißt »dazwischen sein«). Dazu müssen Sie ihn – eine sprachliche Sensation! – kennen-»lernen«. Seine Erfahrungen, seine Erwartungen, seine Interessen sind grundsätzlich nicht minder bedeutsam für die Kooperation als Ihre. Sie können sich auf Spielregeln dialogisch einigen. Eben weil es uns unmöglich ist, etwas Objektives über die Realität auszusagen, müssen wir fortwährend »realistische« Wirklichkeitsmodelle mit unseren Kooperationspartnern kommunikativ aushandeln. Denn Wirklichkeit ist das, was wirkt. Und diese Wirkung wird durch Kommunikation erzeugt. Gemeinsam als brauchbar festgelegt. Wirklichkeit ist mithin das Ergebnis von Übereinkunft.
    Jeder versteht, was er versteht, ausschließlich aufgrund seiner inneren Landkarte. Kommunikation ist daher vergleichbar mit dem Abstimmen von inneren Landkarten. Miteinander reden heißt: innere Landkarten abgleichen. Immer in dem Bewusstsein, dass da ein nicht verstehbarer Rest bleibt, mit dem wir leben müssen. Ihn so klein wie möglich zu machen ist die Kunst des Dialogs.
    |126| Dialog
    »Erst das Wissen um Blindheit«, sagt Heinz von Foerster, »macht sehend.« Wenn Sie an einem Gelingen von Kommunikation interessiert sind, ist es erheblich praktischer (wie ich hoffe gezeigt zu haben), von einem grundsätzlichen Nicht-Verstehen auszugehen. Je eher Sie zustimmen, dass Verstehen unwahrscheinlich ist, um so mehr werden Sie sich – paradoxerweise – um ein Maximum an Verstehen bemühen. Um so mehr werden Sie dem anderen wirklich zuhören. Um so mehr werden Sie immer wieder überprüfen, dass Sie beide – in etwa – das Gleiche meinen. Sie werden alles tun, um Verstehen zu
ermöglichen
, und alles verhindern, was Verstehen noch unwahrscheinlicher macht, als es ohnehin schon

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