Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Prinzip Selbstverantwortung

Titel: Das Prinzip Selbstverantwortung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
Vom Netzwerk:
nur schmunzeln über das, was da an unhistorischem Zeug und in dem Bemühen, die »besseren Japaner« zu sein, ausprobiert wird. Wenig vorbildlich für uns: die hohe zeitliche Verfügbarkeit der Arbeitskräfte in Japan, die außerordentlich hohe Arbeitsintensität, das »Durchreichen« des Kostendrucks an die Zulieferer, das Sozialdumping, die Arbeitgeberbindung der Belegschaft, das ausgeprägte Senioritätsprinzip, patriarchalische Führungsformen, der extreme Konformitätsdruck und das Fehlen jedweder autonomen Interessenvertretung: all das ist in Deutschland weder konsens- noch funktionsfähig – aus guten historischen Gründen, wie mir scheint. Wir brauchen auf der Suche nach tragfähigen Orientierungen nicht erst nach Japan zu schauen: im preußisch-deutschen Traditionskomplex stehen sie uns »näher« und schon lange zur Wahl. Nein, wir müssen unseren eigenen Weg zwischen Taylorismus und Toyotismus gehen, einen Weg, der durch unsere gewachsene mitteleuropäische Ich-Kultur gewiesen und getragen wird.
    Hannemann, geh du voran!
    Eine auf Vorbilder gebaute Unternehmenskultur schafft mithin unbeabsichtigt Abhängigkeit und unterzuständige Mitarbeiter, die ihr Ich-Zentrum nach außen verlegt haben. »Nachmachen!« denunziert die Mitarbeiter zu tumben Toren, die anders offensichtlich nicht zu mobilisieren sind. Noch einmal: Sind das die Mitarbeiter, mit denen wir die Zukunft gewinnen wollen?
    Bedenkliche Wirksamkeiten: Der Vorbild-Betrachter geht nie in die Verantwortung! Er bleibt abhängig von der Vorgabe des |149| idealisierten anderen. »Ich mache es, nicht weil ich es für richtig halte, sondern weil er es vormacht.« Oder: »Ich mache es nicht, wenn der andere es auch nicht macht.« Auch bei jenen, die sonst pikiert Wert auf ihre Eigenständigkeit legen: »Sollen die Vorstände das erst mal vorleben!« Gerade bei negativen Vorbildern: der Verweis auf die Nachbarabteilung, die sich ja auch nicht an die Vereinbarung hält. Oder: »Wenn der sich nicht an die Spielregel hält, muss ich es auch nicht tun.«
    Im Grunde aber ist dies des Pudels Kern: Die Forderung nach dem Vorbild ist wieder das »Nicht-verantwortlich-sein-Wollen«. »Hannemann, geh du voran.« Ein Beispiel dafür, dass wieder erst der andere sich ändern muss, bevor ich überhaupt mich selbst in Erwägung ziehe. Selbstverantwortung? Das schlechte Vorbild ist nur allzu häufig ein Argument, passiv bleiben zu können. Vorbilder produzieren notwendig Unterzuständigkeit und Verantwortungslosigkeit.
    Wie widersprüchlich die Diskussion gegenwärtig läuft, ist sehr schön am Reengineering-Konzept von Hammer/Champy abzulesen, die fortwährend die Mitarbeiter zur Übernahme von Verantwortung bewegen wollen. Das ganze Buch ist gespickt mit Sätzen wie: »Der Leader fördert den Reengineering-Prozess durch mitreißende Reden.« – »Die oberste Geschäftsleitung muss mit gutem Beispiel vorangehen.« – »Prozessverantwortliche motivieren und inspirieren ihr Reengineering-Team.« – »Ein Leader muss eine echte Führungspersönlichkeit sein …, die andere Menschen dazu bringen kann, das zu wollen, was er erreichen möchte.« – »Seid kühn, sagt der Leader, und wenn euch irgend jemand unter Druck setzt, dann verweist ihn an mich.« Tolle Selbstverantwortung.
    Vorbild – eine passive Qualität
    Ist das überhaupt möglich, das, was überall gefordert wird, nämlich Vorbild zu sein? Ist ein Vorbild absichtsvoll machbar? Das ist äußerst fragwürdig, weil es davon ausgeht, dass es von allen Menschen in etwa gleicher, eben »vorbildlicher« Weise wahrgenommen |150| wird. Das Vorbild ist jedoch niemals ein (Vor-)Bild, das jeder auf die gleiche Weise sieht. Jeder bringt sein eigenes Sein in den Prozess der Interpretation ein. Jeder macht sich ein anderes Bild vom anderen; und was der eine für vorbildlich hält, hält der andere noch lange nicht für nachahmenswert; was dem einen erstrebenswert scheint, gilt dem anderen nichts. Jene, die am lautesten die Vorbildlichkeit der Führungskräfte einklagen, sind in den Augen ihrer Mitarbeiter oft alles andere als vorbildlich. Erkenntnistheoretisch ist die Forderung, Vorbild zu sein, schlicht Nonsens.
    Dennoch – wäre es, das Wahrnehmungsproblem ausgespart, möglich? Natürlich nicht. Vorbild sein ist keine aktive Kategorie, sondern eine passive. Menschen werden zum Vorbild allenfalls
gemacht
. Wenn Sie Führungskraft sind, werden Sie es u. U. nicht verhindern können, dass Sie von anderen zum Vorbild erkoren

Weitere Kostenlose Bücher