Das Prinzip Selbstverantwortung
übertragen. Gemeint ist häufig ein Sammelsurium aus freier Wahl des Mitteleinsatzes und der Umsetzung plus »Ich mache Sie dafür verantwortlich!« im negativen Fall. Haben Sie sich schon mal gefragt und bildlich vorgestellt, was das heißt: Verantwortung übertragen? Schauen wir uns dazu – stellvertretend für viele – ein Kreditinstitut an: »Führungskräfte … geben dem Mitarbeiter die volle Verantwortung der von ihm übernommenen Aufgaben.« Sagt dieser Satz etwas aus? Etwas, das Handlungsbedeutung |171| hat? Nein, auch dieser Satz ist leer. Man kann niemandem Verantwortung
geben
. Die hat er automatisch mit der Aufgabe, wenn er zu der Aufgabe »Ja« gesagt hat. Dann können Sie ihn anschließend zur Verantwortung ziehen, wenn Ihnen das wichtig ist. Aber Sie können niemandem Verantwortung (von außen) geben, wenn er sie nicht nehmen will. Verantwortung kann man nicht »delegieren«. Wenn Ihr Mitarbeiter nicht eigenaktiv Verantwortung übernehmen will, taucht er unter ihr weg.
Selbstverantwortung ist eine Einstellung.
Sie ist nicht übertragbar.
Aufgaben können Sie delegieren, Verantwortung nicht. Verantwortung kann nur der Mitarbeiter
nehmen
– wenn er will, weil er es
gewählt
hat, wenn er der inneren Einstellung nach selbstverantwortlich ist, wie immer auch die juristische Sündenahndung aussehen mag. In diesem Sinne ist Verantwortung immer Selbstverantwortung. Sie ist Aktion des Mitarbeiters. Sie ist eine Ermächtigung aus sich selbst heraus.
Allerdings können Sie als Führungskraft ihm die Verantwortung
wegnehmen
: Dazu müssen Sie ihm die Aufgabe wegnehmen. Zum Beispiel dann, wenn Fehler drohen oder die Aufgabe auf eine Weise ausgeführt wird, die Ihren Erwartungen nicht entspricht. Aber genau hier droht die Klippe. Wenn es eng wird, neigen Führungskräfte traditionell dazu, unter Rückgriff auf die juristisch bzw. machtlogisch »höhere« Verantwortung des Vorgesetzten den Mitarbeiter aus der Verantwortung
herauszunehmen
. Sie machen die Spielräume eng. Die ganze Angelegenheit wird letztlich zur »Chefsache« erklärt. Man sei ja schließlich – »in der Verantwortung«. Aha!
Diese pompöse »Chefsache«: jeder soll wissen, dass das Problem ein ungemein wichtiges ist, dass die anderen, die sich bisher damit befassten, sämtlich inkompetent waren und dass nun die glänzende Lösung bevorstehe. Wenigstens ist dann klar, wer Herr im Haus ist. Zwei- bis dreimal müssen Sie als Chef so handeln, dann haben Sie ein weiteres Death Valley der Selbstverantwortung produziert.
|172| Führen zur Selbstverantwortung kann also nur heißen:
Den Mitarbeiter in der Verantwortung
lassen
!
Auch und gerade wenn Schwierigkeiten drohen. Genau in einer solchen Situation wird über das Thema »Selbstverantwortung« im Unternehmen entschieden! Lassen Sie die Verantwortung dort, wo sie hingehört: bei dem, der die Aufgaben macht. Eine große Herausforderung für manche Führungskräfte.
Aber was kann »in der Verantwortung lassen« praktisch heißen?
Verantwortung für Entscheidungen
In einem kleinen und elitären Altersruhestift, das am Ort einem für die Branche relativ scharfen Wettbewerb um wohlhabende Kunden ausgesetzt ist, erstellen der Pflegedienst, der Wirtschaftsdienst und die Verwaltung das gemeinsame Produkt »Dienstleistung am alten Menschen«. Die Verwaltungsleiterin Christiane S. ist gleichzeitig Heimleiterin. Es ist üblich, dass sich die Bewohner des Stiftes mit kleineren Spenden für fürsorgliche Dienste gegenüber dem Personal erkenntlich zeigen. Diese Spenden wurden bislang immer zwischen den Mitarbeitern des Pflegepersonals paritätisch verteilt. Eines Tages erhält die Heimleiterin von einem Angehörigen eines Bewohners ein sehr freundliches Dankschreiben und einen Hundertmarkschein »für das Haus«. Christiane S. verwendet das Geld für den Kauf besonders hübscher Tischdecken, »weil ja dann alle etwas davon haben«. In einer der folgenden Dienstbesprechungen des Pflegedienstes wird Christiane S. beschuldigt, das Geld unberechtigterweise ausgegeben zu haben, da 1) das Geld dem Pflegedienst allein zustehe wegen seines direkten »Dienstes am Menschen« und 2) Ausgaben wie für Tischdecken sowieso von der Stiftungszentrale beglichen werden müssten. Die beiden anderen Dienste melden daraufhin ihren grundsätzlichen Anspruch auf Teilhabe an, »was wir schon immer mal sagen wollten.« In einer tribunalähnlichen Situation rechtfertigt |173| die Heimleiterin ihr Verhalten und delegiert die
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