Das Prinzip Selbstverantwortung
sie warten ständig ab, schauen einen mit großen Augen an, zögern, machen nie vollständige oder entscheidungsreife Vorschläge. Ich sage dann: ›Setzen Sie sich heute morgen mit X oder Y zusammen, und um 12.00 Uhr besprechen wir das.‹ Was dann um 12.00 Uhr präsentiert wird, ist inhaltlich und formal gleich Null. Meistens mache ich dann Vorschläge.« – Ich weiß: der Zeitdruck. Aber solange dieser Manager sich so verhält, übernehmen die Mitarbeiter keine Verantwortung für sich. Sie haben die Hilfe, die es ihnen erlaubt, nicht an sich zu arbeiten. Der Zeitdruck wird wachsen.
Es ist schwierig – und wir spüren das allenthalben bei den zahlreichen Projekten mit teilautonomen Arbeitsgruppen –, Menschen in der Verantwortung zu lassen. Vielen Menschen ist selbstverantwortliches Handeln schon in der Kindheit aberzogen worden. Sie haben während ihres 30-40jährigen Berufslebens nie gelernt, Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen. Statt dessen haben sie sich möglichst geschmeidig der Vorgesetztenmeinung angepasst und jede Initiative vermieden. Bei einem Pharma-Unternehmen hatte man den etwa 150 Referenten ein persönliches Marketing-Budget von fünftausend Mark jährlich zur Verfügung gestellt. Ein Monat vor Ablauf der Jahresfrist war noch keine einzige Mark abgerufen worden! Ja, Wahlfreiheit wird nicht selten als Zumutung erlebt. Nicht wenige Mitarbeiter meiden Entscheidungssituationen, weil sie nicht bereit sind, den Preis der abgewählten Möglichkeit oder gar des Scheiterns zu zahlen. Wenn ihnen dann jemand die Entscheidung abnimmt, können sie wieder initiativ werden: »Das war aber falsch!« Schnelle Erfolge lassen sich bei diesen Mitarbeitern kaum erzielen. Aber was ist die Alternative? Weitermachen wie bisher?
Dazu eine Geschichte, von der ich nicht weiß, ob sie sich tatsächlich so zugetragen hat; wenn nicht, ist sie gut erfunden: Ein Bereichsleiter für Unternehmensentwicklung war bekannt für seine Neigung, Mitarbeiter in der Verantwortung zu lassen. Eines Tages kam ein Mitarbeiter zu ihm in dem Bemühen, sich abzusichern: »Diesen Fall kann ich nun wirklich nicht entscheiden.« |176| Daraufhin sein Chef freundlich: »Wenn ich das für Sie entscheide, kostet das über den Daumen etwa 12 000 Mark. Die ziehe ich Ihnen in zwölf Raten von Ihrem Gehalt ab – dafür, dass ich Ihren Job mache.« Der Mitarbeiter lachte, hielt es für einen Scherz und ließ den Chef entscheiden. Als seine nächste Gehaltsabrechnung kam, lachte er nicht mehr.
Der Mitarbeiter, der den Job macht, ist auch verantwortlich für den Job. Da gibt es nichts zu »delegieren«. Jeder Mitarbeiter muss für seine Leistung Verantwortung übernehmen. Er muss auch entscheiden, wie dieser Job am besten zu machen ist, welche Hilfsmittel er braucht. Er muss verstehen lernen, Entscheidungen selbst zu treffen und dann mit den Konsequenzen zu leben. Nur wenn jeder Mitarbeiter in dieser Weise verantwortlich ist, ist Commitment für eine Entscheidung möglich. Ein Arbeiter, für das Einfügen von Türen bei Opel verantwortlich: »Ich bestimme, wann ich fertig bin. Bin ich nicht zufrieden, läuft nichts.« Commitment resultiert aus dem »Ja« zu dieser Aufgabe, aus dem Gefühl, für Entscheidungen verantwortlich zu sein.
Diese Form des Loslassens bedeutet nicht, den Mitarbeiter alles machen zu lassen, jede Mitverantwortung zu ignorieren und auf jeden Einfluss zu verzichten. Dieses Loslassen hat auch nichts mit fehlender Überzeugung und laxem Treibenlassen zu tun. Im Gegenteil: es gründet auf der festen Überzeugung, dass die allermeisten Mitarbeiter wissen, was zu tun ist, und dass man ihnen dieses Selbstvertrauen nur abtrainieren kann.
Eine Führung, für die Selbstverantwortung der zentrale Gestaltungswert ist, ist weit mehr vom
Lassen
als vom
Machen
bestimmt. Keine leichte Aufgabe, definieren sich doch die weitaus meisten Führungskräfte über ihre »Durchsetzungsfähigkeit« und »klare Entscheidungen«. Haben Sie immer noch die Illusion einer »einzig richtigen« Entscheidung, die eher Sie als Ihre Mitarbeiter finden? Haben Sie kein Vertrauen in die Entscheidungen Ihrer Mitarbeiter? Dann wundern Sie sich nicht, dass Ihre Mitarbeiter kein Vertrauen zu Ihnen haben. Für eine Führungskraft aber, die begriffen hat, dass es keine Einzig-Richtigkeit gibt, kann Führung nur heißen:
den Mitarbeitern die Wahl nicht abnehmen
. Die Mitarbeiter ihre eigenen Antworten finden lassen.
|177| Führung ist dann verantwortlich
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