Das Prinzip Selbstverantwortung
mehrfach zu machen. Das Graffito sagt: »Es ist nicht schlimm, einen Feler zu machen. Es ist nur schlimm, einen Feler zweimal zu machen.« Natürlich: Zur Produktivkraft kann ein Irrtum nur dort werden, wo wir ihn nicht zu teuer bezahlen müssen. Und nicht jeder Mist ist Dünger. Dennoch stehen einem konstruktiven Umgang mit Fehlern in der allgemeinen Unternehmenskultur des Rechthabens unausrottbare Vorurteile entgegen.
Zum einen wird in nahezu allen Unternehmen mit Fehlern auf sehr dysfunktionale Weise umgegangen. Nämlich so, als seien sie
bewusst
gemacht worden. Beschuldigungen, wilde »Hätten-Sie-es-nicht-vermeiden-können?«-Spekulationen und der vielgespielte Rechtfertigungs-Blues sind die Folgen. Oft steuert ein Mitarbeiter täglich eine zwei Millionen Mark teure Maschine, |191| produziert täglich ein sündhaft teures Produkt – und sieht sich bei einem Fehler für 10 000 Mark massiven Beschuldigungen ausgesetzt. Angemessen?
Fehler kann man aber nicht bewusst herstellen. Fehler
passieren
. Ihnen, mir, allen. Mehr oder weniger häufig. Streng genommen also kein Grund, jemanden anzuklagen oder auch nur verstimmt zu sein. Das ist keine achselzuckende Egal-Haltung, sondern Erkenntnis der schlichten Tatsache, dass Fehler nun mal passieren und nicht bewusst gemacht werden können. Ein fehlerfreies Unternehmen ist auch ein unmenschliches Unternehmen. Oder menschenleer.
Wichtig ist: Ein absichtsvoller Fehler ist keiner. Das ist Sabotage. Wie aber unterscheiden, ob ein Fehler oder Sabotage vorliegt? Ein schwieriges Geschäft. Solange der Täter nicht die sabotierende Absicht bekennt, ist vom Fehler auszugehen. Dann aber (ich wiederhole es, weil es mir wichtig ist): Kein Grund, anzuklagen oder sich aufzuregen. Falls zuviele Fehler passieren oder aus Fehlern nicht gelernt wird, hat das natürlich Konsequenzen: Dieser Mitarbeiter gehört nicht an diese Stelle. Mehr ist aber nicht zu sagen.
Zum anderen steigt mit zunehmender Turbulenz der Märkte und wachsenden Risiken der Bedarf an Versicherungen aller Art. Und Manager, die offen zugeben, dass sie umdenken müssen oder sich gar geirrt haben, werden als Memmen und Schwächlinge angesehen. Fast alle Begriffe, die den Vorgang beschreiben, sind negativ besetzt oder fallen durch ihre Theatralik auf: »Fehler eingestehen«, »einen Irrtum bekennen«, »eine Position verlassen«, »nicht zu seiner Meinung stehen«, »den Standpunkt wechseln«. Selbst die Korrektur von Einsichten, das harmlose Wort »Sinneswandel«, hat in der Umgangssprache einen anrüchigen Beigeschmack. Das archaische Ideal der Nibelungentreue steht immer noch über dem Erkenntnisgewinn.
Null Fehler = Null Verantwortung
Verantwortung ist ein scheues Reh. Wenn jemand »zur Verantwortung gezogen« wird, falls er einen Fehler gemacht hat, wird er |192| alles tun, um Verantwortung zu vermeiden. Die beste Fehler-Vermeidungsstrategie ist die Vermeidung von Verantwortung. Er fährt das Null-Fehler-Programm: »Wer etwas macht, macht Fehler. Wer nichts macht, macht keine Fehler und wird befördert.« (Das ISO-Diktat eines Dauerzwangs zum ruinösen Fehlervermeidungsverhalten erhebt das Ganze dann zur unternehmensprägenden Norm.)
Null-Fehler-Programme sind Null-Verantwortungs-Programme
.
Wer wundert sich da, dass in den gängigen betriebsinternen Verfolgerkulturen kaum jemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen? Wer glaubt im Ernst, dass Mitarbeiter unternehmerisch handeln, wenn die geheime Spielregel im Unternehmen lautet: Vermeide Fehler um jeden Preis! Je mehr »zur Verantwortung gezogen« wird, desto mehr diffundiert die Verantwortung ins Nichts.
Die betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre kennt das »Risk-Return-Paradoxon«. Selbst wenn die Geschäfte ausgezeichnet laufen und hohe Risiken eingegangen werden könnten, werden in der Regel die sicheren Alternativen den unsicheren vorgezogen. Wer Neuerungen und damit Risiken eingehen will, findet sich nur allzu häufig mit einer »Anti-Innovations-Allianz« konfrontiert, die eigenartige Solidarisierungseffekte nach dem Muster des »Not-Invented-Here«-Syndroms hervorbringt. Weltmeister im Verhindern. Am kreativsten ist man beim Aufspüren von Gründen, wieso etwas
nicht
geht. Der konkrete Umgang mit Fehlern ist aber gleichsam der Lackmus-Test für die geforderte innovationsfreudige Unternehmenskultur: Ohne Toleranz gegenüber Fehlschlägen, ohne Unterstützung außergewöhnlicher, risikoreicher Vorhaben keine hohe Innovationsrate! Beim texanischen
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