Das Prinzip Uli Hoeneß
Ritters von der aufrechten moralischen Gestalt. Es sei ihm bei der Auseinandersetzung um Daum nie darum gegangen, beteuerte er, »jemanden niederzumachen. Ich wollte nur einen Bundestrainer, der unantastbar ist. Eine moralisch absolut integre Person, so eine Art Bundespräsident für den Fußball. So wie ich früher Helmut Schön empfunden habe.« Außerdem habe er vermeiden wollen, einen Fehler zu wiederholen; den Fehler nämlich, sich an der Auswahl eines ungeeigneten Bundestrainers zu beteiligen. »Ich wollte nicht noch einmal, wie beim Teamchef Ribbeck, wider besseres Wissen eine falsche Entscheidung stützen.« Er hatte diesmal kritisch sein und etwaige Zweifel anmelden wollen; und nur wegen dieses ehrlichen und alles andere als ehrenrührigen Interesses hatte er so viel durchmachen müssen.
Seinen Stress hatte er auf die übliche Frustesserweise zu bewältigen versucht, aber der Kummerspeck war ja noch das harmloseste in dieser Angelegenheit gewesen. In der schlimmsten Verfolgungsphase habe er sich oft »total hilflos« gefühlt, zum einzigen Mal in seinem Leben habe er nicht mehr gewusst, wie es weitergehen soll. Die Feindseligkeiten, die ihm entgegengeschlagen waren, die Morddrohungen und die Hassbriefe, die bergeweise in der Geschäftsstelle an der Säbener Straße eingelaufen waren, hatten ihn taumeln lassen. Er habe erleben müssen, meinte er, »was es heißt, wenn du ein ganzes Volk gegen dich hast«. Uli Hoeneß hatte ernsthaft einen Rücktritt erwogen und war ins Grübeln gekommen. Ins Grübeln darüber, wie ungerecht es auf der Welt zuging und wie leicht es vielen fiel, ihn zu Unrecht an den Pranger zu stellen; und ins Grübeln darüber, dass selbst nach Daums Outing einige sich nicht bemüßigt fühlten, sich bei ihm zu entschuldigen.
Gerhard Mayer-Vorfelder, Reiner Calmund, Herta Däubler-Gmelin – alle hatten sie sich gegen ihn gestellt. Schlimmer aber war noch, dass er auch aus den Reihen der Freunde beschossen worden war. Sein Bruder, das war klar, hatte in der Christiansen-Sendung auf einsamem Posten stehend für ihn gekämpft wie ein Löwe – aber die anderen? Nur Karl-Heinz Rummenigge hatte ihn von Anfang an blind unterstützt. Franz Beckenbauer war erst an seine Seite getreten, als er voll informiert war. Und dann vor allem Paul Breitner. Von ihm, dem alten Freund, war Uli Hoeneß total enttäuscht. »Ich hatte erwartet, dass er zuerst mal mich anruft und nachfragt. Aber er erklärte lieber, das sei der größte Skandal der Bundesliga seit dem Bundesligaskandal – und am nächsten Tag, dass nur einer übrigbleibe. Vier Wochen später sagte er, er habe immer gewusst, das ist Uli Hoeneß. Das war das Schlimmste. Wäre er überzeugt gewesen, dass ich Recht habe, hätte er das damals sagen können.«
Aber Uli Hoeneß war ja nur in wenigen Fällen einmal nachtragend. Er verzieh Beckenbauer, und irgendwann, allerdings erst nach einer sehr langen Pause, versöhnte er sich auch wieder mit Breitner. Mit Reiner Calmund schloss er bereits kurz nach der Affäre Frieden, obwohl er im ersten Affekt jeden künftigen Kontakt ausgeschlossen hatte. Es geschah nicht öffentlich, sondern ganz privat. »Uli Hoeneß holte mich auf der Straße ab«, berichtete Calmund, »führte mich in seine Wohnung. Seine Frau spielte den Friedensrichter. Es war ein tolles Gespräch, seitdem ist alles ausgeräumt. Im privaten Gespräch kann Uli Hoeneß auch Fehler eingestehen.« Öffentlich freilich gestand er indes nicht viele Fehler ein. Eine Mitverantwortung an der Hetzkampagne, die durch seine unbedachten Äußerungen ausgelöst worden war und sich dann gegen ihn selbst gewendet hatte, wollte er nicht übernehmen. Es sei völlig verkehrt, meinte er, wenn man ihm unterstelle, dass er eine geplante Attacke habe lostreten wollen; er habe ganz im Gegenteil nur »aus dem Bauch« heraus gehandelt. Alles wäre ganz anders gelaufen, wäre nicht damals, an diesem Sonntag, den 1. Oktober 2000, auf dem Weg zum Golfplatz eine Umleitung gewesen. »So hatte ich zehn Kilometer mehr zu fahren und damit Zeit, sonst hätte ich die ›Abendzeitung‹ gar nicht zurückgerufen. Und es hätte nie das Gespräch gegeben – das nur zu meiner Strategie.«
Es war also nur eine zufällige und unbedachte Äußerung – mit beinahe fatalen Konsequenzen. Zugeben wollte er immerhin, dass er aus der Ferne die nach dem 2. Oktober rasant sich zuspitzende Situation falsch eingeschätzt hatte und die ins Rollen kommende Lawine daher nicht mehr hatte
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