Das Prinzip Uli Hoeneß
der gerne hilft und abgibt, aber nur nach eigenem Gusto.
Manch einem stieß diese – im Grunde genommen ja urkatholischen Prinzipien entsprechende – Bayern-Barmherzigkeit recht bitter auf, und natürlich stieß sich insbesondere Hoeneß’ Intimfeind Willi Lemke am generösen Gestus des schwerreichen Branchenführers. »Sie sagen«, herrschte er ihn an: »Lieber SV Werder Bremen, wenn wir in fünf Jahren eine Milliarde Umsatz haben und du krebst immer noch bei den 48 Millionen, dann komm doch mal zu mir, ich geb’ dir auch einen Termin, ich bin ja ein feiner Kerl, und dann machen wir ein Benefizspiel im Weserstadion. Mir graut davor, das sie eines Tages so einen Vorsprung haben, dass der Ausgang von vorneherein klar ist.«
Die mehrdeutige Moral des »Mr. Bundesliga«
War Uli Hoeneß nun ein Heiliger oder eher ein Scheinheiliger im Sinne Willi Lemkes, wenn er sich für die anderen Vereine der Bundesliga einsetzte? Pflegte er seine soziale Ader wirklich nur als überhebliche Generosität eines übermächtigen Klubs?
Fest steht, dass sich der Bayern-Manager tatsächlich für das Wohlergehen der gesamten Bundesliga einsetzte, allein schon deswegen, weil das Produkt Fußball ja nur funktionieren kann, wenn eine Konkurrenzsituation gegeben ist. Fest steht aber auch, dass er darüber den Vorteil für seine Bayern nie aus dem Auge verlor. Und fest steht schließlich darüber hinaus, dass im Weltbild des Uli Hoeneß – ganz gleich, was geschehen mochte – sich die Moral prinzipiell auf Seiten des FC Bayern befand. Von einer Doppelmoral muss man da noch nicht sprechen, vielleicht aber von einer doppelten bzw. mehrdeutigen Moral.
Wenn die Bayern 100 Mio. Euro hätten und der VfL Bochum nur 5 Mio., dann, so Uli Hoeneß, würde der Fußball in Deutschland keinen Spaß mehr machen. »Irgendwo hinzufahren und alles niederwalzen zu können, das kann es doch im Sport nicht sein.« Es hätte zudem wohl kaum jemand mehr Interesse an der Bundesliga, wenn die Bayern jedes Jahr als Meister feststünden – statt, wie es seit Hoeneß’ Amtsantritt der Fall ist, »nur« jedes zweite Jahr. Der Sinn des Erfolges endet auch wirtschaftlich dort, wo es sportlich langweilig wird. »Wir können es uns nicht leisten, Siebter oder Achter zu werden, aber es wäre fatal, wenn wir jedes Jahr Meister würden. Die Schere darf nicht zu weit auseinander klaffen.« Also, meinte er generös, könne man den anderen »zwischendurch ruhig mal einen Titel überlassen«, solange der FC Bayern dauerhaft die Nummer eins bleibe. Um die Konkurrenz zu beleben, war er bereit, anderen Bundesligisten unter die Arme zu greifen oder in Sachen Ablösesummen entgegenzukommen nach dem Motto: »Was nutzt es dem FC Bayern, wenn es anderen schlecht geht?« Und so ließ sich denn hinter fast allem Tun der Bayern irgendwie auch etwas Gutes entdecken. Einmal ging Hoeneß sogar so weit, den Verzicht der Bayern auf den Börsengang mit sozialethischen Motiven zu begründen: »Nach einem Börsengang hätten wir rund eine Milliarde auf dem Konto. Allein an Zinseinnahmen wären das jedes Jahr etwa 60 Millionen. 60 Millionen! Stellen Sie sich mal das Aufheulen in der Bundesliga vor.«
Sport ohne Konkurrenz ist kein Sport mehr und lässt sich auch nicht vermarkten. In diesem Sinne engagierte sich der Bayern-Manager seit Mitte der neunziger Jahre mit Vehemenz dafür, die deutsche Liga attraktiver zu machen und ihre Vermarktungschancen zu erhöhen. So war er eine der Hauptantriebskräfte dafür, dass sich die Bundesliga eine »corporate identity« zulegte und ab der Saison 1996/97 mit Hymne und eigenem Logo präsentierte. Kurz darauf machte er sich daran, die Großstadt Berlin, die neue Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands, fußballerisch wachzuküssen. »Das riesige Potenzial dieser Metropole«, überlegte er, »dieser schlummernde Riese muss geweckt werden.« Die Bayern-Hilfe für die in der zweiten Liga dümpelnde »alte Dame« Hertha war ganz konkret. Der deutsche Rekordmeister veranstaltete im Berliner Olympiastadion Spiele mit europäischen Spitzenteams wie dem AC Mailand und überwies aus dem Erlös eine halbe Million Mark an die Berliner. Außerdem brachte Uli Hoeneß ein starkes Team von Fußballexperten, Wirtschaftsfachleuten und Sponsoren zusammen, um den Berlinern nachhaltig auf die Beine zu helfen. Als Manager des Projektes »Hertha-Wiederauferstehung« brachte er seinen Bruder Dieter in Position, zuvor bereits erfolgreicher Macher beim VfB Stuttgart.
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