Das Prinzip Uli Hoeneß
verlassen werde, falls die Zeitung verkauft werden sollte. Der DFB intervenierte daraufhin bei den Verantwortlichen St. Paulis, und die untersagten tatsächlich den Verkauf ihrer eigenen Stadionzeitung. Die Atmosphäre beim Spiel war dann zwar geladen, zu einem Eklat aber kam es nicht. Die Bayern gewannen durch zwei späte Tore mit 2:0, das Nachspiel allerdings sorgte für eine moralische Niederlage von Hoeneß: So ziemlich alle Tageszeitungen brachten Kommentare zum »Klassenkampf«, die in der Regel wenig schmeichelhaft für den Bayern-Manager ausfielen und stattdessen dem »Millerntor-Magazin« eine unerwartete Popularität verschafften.
Beim nächsten Aufeinandertreffen im Frühjahr 1991 ließen sich die Macher des St.-Pauli-Heftes etwas Neues einfallen. Die Schlagzeile lautete nun: »Hoeneß kommt! Die größte Show der Welt.« Darunter stand das Versprechen: »Diesmal garantiert Bayern-freundlich.« Im Heft gab es nun statt Klassenkampfparolen ausufernde Lobhudeleien über die Gäste. Die Bayern verloren überraschend mit 0:1, aber Hoeneß verstand den ironischen Fingerzeig und attestierte dem Magazin nun generös, »eines der bestgemachten Stadionmagazine der Bundesliga« zu sein. Fortan fand man auf dem Titelblatt des »Millerntor-Magazins« ein kleines Gütesiegel mit dem Kopf des Bayern-Managers und dem Hinweis: »Empfohlen von Uli Hoeneß«. Harsche Worte zwischen den Kontrahenten fielen nun kaum mehr, Hoeneß bekundete sein besonderes Faible für die Hamburger und ihre Fans, die jedes Heimspiel wie ein Fest zelebrierten.
Die Geschichte zwischen dem »David« und dem »Goliath« der Liga hatte damit aber noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Den gab es erst am 6. Februar 2002, da die Bayern als frischgebackener Weltpokalsieger beim Kiez-Klub vom Millerntor antraten und die Pauli-Fans den größten Tag der Vereinsgeschichte erleben durften. Die Durchschnittskicker in den braunen Trikots gestalteten das Spiel absolut überlegen und gewannen hochverdient mit 2:1. Zum Nachspiel gab es diesmal ein langes Volksfest auf dem Kiez und T-Shirts mit der Aufschrift »Weltpokalsiegerbesieger«, die reißenden Absatz fanden.
Die Niederlage war bitter, für Hoeneß aber kein Grund, erneut das Kriegsbeil auszugraben – im Gegenteil. Im Juli 2003 kam es zur endgültigen Versöhnung zwischen den St.-Pauli-Fans und dem Bayern-Manager, als dieser dem inzwischen in die Regionalliga abgestiegenen, mit 2 Mio. Euro verschuldeten und vom Lizenzentzug bedrohten Kultverein spontan das Angebot eines Benefizspiels machte, das rund 200.000 Euro in St. Paulis leere Kassen spülte. Diesmal gab es weder Verhöhnungen noch Wurfgeschosse, sondern tosenden Beifall und »Uli, Uli«-Rufe. Als Hoeneß, gewandet in ein St.-Pauli-T-Shirt mit der Aufschrift »Weltpokalsiegerbesieger-Retter«, vor die Haupttribüne trat, erhoben sich alle Zuschauer von den Plätzen. Die Rolle des gefeierten Wohltäters war ungewohnt für den Bayern-Chef, aber man konnte ihm an seinem breiten, selig-zufriedenen Lächeln ansehen, wie wohl er sich in ihr fühlte. »Die Stimmung war hier früher ja genau gegensätzlich«, beschrieb er seine Gefühle, »diese schöne Atmosphäre ist für mich schon gewöhnungsbedürftig. In der gesamten Stadt habe ich eine große Dankbarkeit gespürt, und das finde ich super. Es ist schön, dass die Leute noch dankbar sein können, wir wollten mit diesem Spiel hier die Leute mitten ins Herz treffen, und wir haben mit diesem Fußballfest voll getroffen.«
Die verschuldeten St. Paulianer unterstützte Uli Hoeneß, weil er ein besonderes Faible für sie hatte. Er hatte Lust dazu, es machte ihm Spaß. Als jedoch die Deutsche Fußball-Liga kurze Zeit später angesichts des immer stärker angewachsenen Schuldenstandes vieler Vereine den Plan bekannt machte, einen »Feuerwehrfonds« für finanziell schwache Klubs einzurichten, zeigte er sich nicht mehr von seiner herzlichen, sondern wieder einmal von seiner bissigen Seite. »Ich habe keine Lust«, polterte er, »mit unserem hart verdienten Geld andere Vereine über Wasser zu halten.« Hoeneß konnte sich auf Benefizspiele generös einlassen und spendete gerne freiwillig. Aber vorschreiben lassen wollte er sich nichts, und eine institutionell abgesicherte Unterstützung, die in seinen Augen schlechtes Wirtschaften geradezu noch belohnte, widersprach seinen ethischen Prinzipien grundsätzlich. Wie im Verein, so zeigte Hoeneß also auch in der Liga letztlich die Haltung eines Patriarchen,
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