Das Prinzip Uli Hoeneß
letzten 20 Jahren eine vor allem von den Gewerkschaften verursachte Kultur der Leistungsvermeidung erlebt. Für möglichst wenig Arbeit sollte möglichst viel Geld bezahlt werden. Während die Inder 100 Stunden pro Woche arbeiten, wollen unsere Gewerkschaften auf unter 40. Ein Irrsinn.« Eine der wesentlichsten Aufgaben eines jeden Unternehmers bestehe daher zunächst und vor allem darin, so Hoeneß im Stil eines konservativen Sozialrevolutionärs, das »größte Problem« zu lösen, nämlich »die Macht der Gewerkschaften zu brechen« und sie schließlich »überflüssig zu machen«. In Hoeneß’ Augen ist der wahre soziale Mensch der »Arbeit-Geber« – und der steht im direkten Gegensatz zum Gewerkschafter, dem »Arbeit-Verhinderer«.
Die Gewerkschaften sind nach dieser Gesellschaftstheorie auch mitverantwortlich für ein weiteres deutsches Kardinalübel: die Kultur des Gejammers. Allen geht es gut, so seine Diagnose, und trotzdem werde permanent herumgekrittelt: »Deutschland ist mit Abstand die kritischste Nation, weil die Leute mit Abstand am verwöhntesten sind. Die meisten stehen schon auf mit schlechter Laune.« Kaum jemand sei mehr in der Lage, dem erreichten Lebensstandard die gebührende Wertschätzung entgegenzubringen. »Wir leben im besten Land der Welt, in einer Gesellschaft mit dem besten Sozialsystem und einer optimalen Alterssicherung. Wir sind aber auch Weltmeister im Meckern und der Besserwisserei!« Es könne aber doch nicht sein, mahnte er zur Bescheidenheit, dass auf einem derart hohen Konsumniveau schon kleine Einbußen als »Krise« wahrgenommen werden. »In Argentinien, in Afghanistan, das sind Krisen. Wir müssen lernen, dass es nicht immer nach oben geht, sondern dass man auf dem hohen Niveau, auf dem wir angelangt sind, auch mal eine Zeitlang geradeaus laufen kann, ohne unzufrieden zu werden. Das ist das Problem in unserem Land. Dass man glaubt, dass es eine Katastrophe ist, wenn der Lebensstandard nicht immer noch mehr steigt.« In diesem Sinne sah er es beinahe schon als heilsam an, als im Jahr 2003 mit der Wirtschaftskrise auf allen Ebenen ein Zwang einsetzte, den Gürtel enger zu schnallen – und er schmunzelte über die erstaunten Reaktionen seiner verwöhnten Profis angesichts der bevorstehenden Reduzierung ihrer Gehälter.
Neben der Verwöhntheit prangerte Hoeneß vor allem die Habgier und das Streben nach kurzfristigem Gewinn als eine der schlimmsten Sünden der modernen Gesellschaft an. »Hier kann man offenbar nur durch Geld motiviert werden«, zog er zur Jahrtausendwende in Anbetracht eines eklatanten Wertemangels ein Resümee der Resignation. »Das ist nicht meine Welt.« Einige Jahre später, als die Zeche für dieses Fehlverhalten in Form der Finanzkrise auf den Tisch kam, sah sich der Mann, der sich selbst als lauteren Börsenspekulanten versteht, auf das Schrecklichste bestätigt. »Wir sind alle reingelegt worden von größenwahnsinnigen Bankern, zuerst in Amerika, dann auch in Europa. Damit meine ich nicht die seriösen Bankiers, die wirklich im Interesse ihrer Kunden arbeiten. Ich meine diese Wahnsinnigen, die von 25, 30, 40 und mehr Prozent Rendite sprachen und über diejenigen lächelten, die gerade zehn Prozent erzielten; die Irren, die Deals gemacht haben, die mit dem Bankgeschäft, wie ich es schätze, nichts zu tun haben – ein put, ein call, ein knock-out, weiß der Teufel was –, alles nicht kreiert, um die Volkswirtschaft zu verbessern, sondern bloß, um den Profit zu steigern.« Und nun müsse der Staat und damit letztlich auch der Bürger die Rechnung begleichen, da es zum Eingreifen des Staates leider keine Alternative gebe: »Denn was passiert, wenn das Finanzsystem auseinanderbricht? Es nutzt ja gar nichts, wenn man hinterher sagen kann, wir sind konsequent geblieben.«
Ansichten eines Hobby-Politikers
Eine Begabung zum Populismus mag man Uli Hoeneß nicht absprechen. Immer redete er gern deftig und deutlich, ja er forderte sogar eine Kultur der Zivilcourage und des Klartextredens. Wenn es unangenehm werde, beschwerte er sich, mache heute niemand mehr den Mund auf. Er selbst wollte es anders halten. Und so sagte er denn, dass er genauso gegen die »Linken« sei wie gegen die »Rechten«. In den Linken – siehe seine Argumente gegen die Gewerkschaften – sah er gleichsam die natürlichen Feinde des Leistungsethos . Es dürfe daher nie geschehen, wetterte er, »dass Lafontaine und Gysi auch nur über einen Bleistift bestimmen in unserem
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