Das Prinzip Uli Hoeneß
nicht die Realität, es war nach ein paar Wochen wieder verschwunden.« Es möge verwunderlich erscheinen, meinte er, aber weder der Absturz noch die Operation hätten einen besonderen Einfluss auf seine Persönlichkeit oder seinen beruflichen Werdegang gehabt. Er war nachdenklicher geworden, aber nicht grundsätzlich ein anderer. »Demut war schon vorher ein Gefühl, das mich und mein Menschenbild beherrscht und geprägt hat und bis heute prägt.« Eine große Rolle haben da sicherlich seine Eltern gespielt, die ihren Söhnen ein Leben rechtschaffener Bescheidenheit vorlebten. Nicht unwichtig ist vielleicht auch der Hinweis auf die katholische Prägung des jungen Uli, der ja immerhin fünf Jahre lang Ministrant in der Ulmer Suso-Kirche war.
Die Art und Weise, wie Hoeneß seinen Managerjob interpretierte, hat wohl eher mit seinen Erfahrungen aus der eigenen Spielerkarriere zu tun. Da gab es einige Momente, an die er sich nicht gern zurückerinnerte, Situationen, in denen er Solidarität, Hilfe und Unterstützung gebraucht und dann nicht bekommen hat. Schlimm war es im Frühjahr 1977, als er trotz allen Bemühens wegen seiner Verletzungen nicht die gewohnte Leistung hatte bringen können und von den eigenen Fans ausgepfiffen worden war. »Man kann nicht so spielen wie ein Gesunder«, beschwerte er sich damals, »das hätten die Leute doch begreifen müssen.« Das Glück, das ihm so lange hold gewesen war, schien ihn verlassen zu haben, denn nach den Fans wandten sich auch noch die Verantwortlichen im Verein von ihm ab. Uli Hoeneß musste die bittere Erfahrung machen, dass es Dankbarkeit im Fußball nicht gibt. Die endgültige Desillusionierung gab es, als der 27-Jährige nach seiner schweren Knieverletzung beim FC Bayern auf der Massagebank lag. »Der Masseur, Josef Sarič, sagte zu mir: ›Uli, du musst aufpassen. Sie wollen dich verkaufen, sobald du wieder laufen kannst.‹ Er hatte ein Telefonat zwischen Präsident und Management mitbekommen. In dem Moment dachte ich: Das wird es bei mir später nicht geben, dass einer, der gerade schwach ist, Angst um seinen Arbeitsplatz haben muss. Starken muss man manchmal Angst machen, aber Schwache einschüchtern? Das bringen nur Schwache fertig.« Wenn es ein »wirkliches Schlüsselerlebnis« in seinem Leben geben sollte, betonte er, dann war es diese Szene.
Damals, am Ende seiner Fußballerkarriere, hatte Uli Hoeneß seine Situation mit folgenden Worten kommentiert: »Es ist extrem wichtig, dass man all diese Phasen, die das Fußballleben bietet, durchlebt, alle Höhen und Tiefen, und aus den Erfahrungen, positiver wie auch negativer Art, seine Schlüsse zieht, um sich für das zukünftige Leben zu wappnen.« Eine erste Konsequenz aus dem negativen Schlüsselerlebnis auf der Massagebank war die Abschiedsrede, die der designierte Bayern-Manager im Frühjahr 1979 vor den versammelten Spielern des 1. FC Nürnberg hielt. Es war eine Rede, die er so ähnlich auch zu seinem Abschied als Manager hätte halten können: »Es war mir ein großes Bedürfnis, diesen Abend zu machen. Denn ich glaube, dass der Fußball immer mehr in eine Richtung des Professionalismus geht, in eine Richtung, wo die zwischenmenschlichen Beziehungen immer kleiner geschrieben werden, das Geld, der Profit dagegen immer größer wird. Ich bin jetzt am Beginn eines neuen Einschnitts in meinem Leben, der sicherlich für mich sehr vieles verändern wird. Ich werde versuchen, natürlich im Interesse meines zukünftigen Arbeitgebers, auch in allererster Linie den Verein zu sehen, aber ich werde auch in erster Linie versuchen, das Menschliche immer in den Vordergrund zu stellen.« Jahrzehnte später zu dieser Szene befragt, fand Hoeneß folgende Worte: »Natürlich hat sich das weiter fortgesetzt mit der Kommerzialisierung. Aber ich glaube, dass ich bei aller Kommerzialisierung immer Mensch geblieben bin. Und ich bin ein wunderbares Beispiel, dass diese zwei Komponenten absolut harmonieren können.« Hoeneß war einer geworden, der den Menschen nie vergisst und den Schwachen zu jeder Tages- und Nachtzeit hilft. »Wo immer es geht, beweise ich das«, betonte er und ließ keinen Zweifel daran, wie er gesehen werden wollte. »Ich bin einer der sozialsten Menschen, die ich kenne.«
Es stinkt Uli Hoeneß wohl ziemlich, dass die meisten Menschen in ihm immer noch nur den bösen Buben sehen, der vor laufenden Fernsehkameras seine Gegner beschimpft. »Es würde mich sehr treffen, wenn mich jemand, der mich kennt oder
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