Das Prinzip Uli Hoeneß
an. Der Bayern-Manager sei vollkommen »hingerissen von sich selbst«, mokierte sich etwa der »Spiegel« kopfschüttelnd. Aber das waren in diesen Tagen eigentlich alle Bayern-Anhänger. Selbst der Präsident, der inzwischen Fritz Scherer hieß, hatte sich von dem in München grassierenden Größenwahn anstecken lassen: Als er in den Flieger nach Österreich stieg, hatte er eine Rede auf die Sieger bereits im Gepäck.
Am Tag darauf schien zunächst alles nach Plan zu laufen. Ludwig Kögl erzielte in der 25. Minute das 1:0 für die Münchner, die das Geschehen auch danach lange Zeit überlegen gestalteten. Doch dann kam die 78. Minute, als ein von Hans Pflügler abgefälschter Ball parallel zur Torlinie durch den Fünfmeter-Raum trudelte: Portos algerischer Stürmer Rabah Madjer stoppte, drehte dem Tor den Rücken zu und kickte den Ball mit der Hacke des rechten Fußes ins Tor. Die Art und Weise, wie Madjer den Treffer erzielt hatte, kam einer Demütigung gleich. Die Bayern waren konsterniert, und nur zwei Minuten später erzielte der eingewechselte Brasilianer Juary auf Vorarbeit von Madjer den Siegtreffer. 1:2 – es hatte wieder einmal nicht ganz gereicht. Zur Halbzeit sei man noch siegesgewiss gewesen, analysierte ein frustrierter Bayern-Manager. Doch dann habe es plötzlich im Mittelfeld keine Anspielstationen mehr gegeben. »Es wurde fast nur noch zurück und quer gespielt. Keiner wollte mehr den Ball haben.« In der Hauptsache, so Hoeneß, sei die Niederlage den »nervlichen Problemen« des vermeintlichen Spielmachers Lothar Matthäus geschuldet. »Es fehlt uns ein Quäntchen Selbstvertrauen«, resümierte er. »Der eine oder andere hat zwar viel darüber geredet, in Europa die Nummer eins zu werden. Aber nicht daran geglaubt.«
Er selbst hatte natürlich am meisten darüber geredet – aber eben auch am festesten daran geglaubt. Jetzt konnte er nur noch versuchen, den Schmerz zu relativieren. Er war niedergeschlagen, noch niedergeschlagener als 1982, schließlich war der Absturz von der Euphorie in die Depression noch brutaler gewesen. Ein weiteres Mal war der große Traum unerfüllt geblieben, in Europa die Nummer eins zu werden, der FC Bayern war von Real Madrid immer noch so weit entfernt wie der Nachwuchsdribbler Wiggerl Kögl vom legendären Real-Superstar Alfredo di Stefano. Unabhängig von den Unwägbarkeiten des Fußballs war in Wien allzu deutlich geworden, dass den Bayern zum internationalen Topniveau noch ein gutes Stück fehlte. Man musste umdenken in München. Und das hieß: Um ganz nach oben zu kommen, brauchte man internationale Stars. »Mit Lerby«, trauerte Hoeneß dem im Vorjahr zum AS Monaco abgewanderten Dänen-Star hinterher, »hätten wir das Europacup-Endspiel gewonnen.«
Absturz in die Krise
Nach der deprimierenden Niederlage gegen Porto wollte Uli Hoeneß mit einem neuen Trainer – Jupp Heynckes löste Udo Lattek ab – und einem neuen Konzept einen neuen Ansturm auf die europäische Spitzenposition unternehmen. Die als revolutionär verkaufte Idee bestand vor allem darin, internationale Topspieler an die Isar zu locken. Zunächst kam freilich lediglich der Waliser Mark Hughes, und der brachte nicht viel Erfolgspotenzial mit. In der Bundesliga verspielte man im Frühjahr 1988 alle Chancen auf die Meisterschaft, und dann gab es auch noch zwei bittere Viertelfinal-Niederlagen: im DFB-Pokal gegen den Hamburger SV und im Europapokal, ausgerechnet, gegen Real Madrid. Hoeneß war geschlaucht von den Enttäuschungen. »Ein halbes Jahr kann ich das ertragen, aber nicht länger«, jammerte er und ging umgehend daran, sich wieder frischen Optimismus einzuflößen. »Ich habe seit zehn Jahren den absoluten Erfolg«, redete er sich ein, »und jetzt ist die Herausforderung nur noch größer geworden.« Und er posaunte hinaus, damit es auch ja keinem entging: »Der Job hat mir noch nie so viel Spaß gemacht.«
Allzu lang musste er sich nicht in Geduld üben, bis der Spaß am Bewältigen von Niederlagen wieder von der Freude am Siegen abgelöst wurde. Unter Jupp Heynckes’ Regie gelang zweimal hintereinander ein souveräner Titelgewinn. Die internationalen »Stars«, mit denen Hoeneß zum Angriff geblasen hatte, hießen nun Radmilo Mihajlovic und Alan McInally. Der Erfolg war aber nicht diesen bis dahin kaum einem Experten bekannten angeblichen Spitzenspielern zu verdanken, sondern vor allem deutschen Qualitätsprofis wie dem Dauerbrenner Roland Wohlfarth im Sturm oder zuverlässigen
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