Das Prinzip Uli Hoeneß
Kilometer entfernte Krankenhaus Hannover-Nordstadt geeilt. Stunden vergingen. Breitner hockte in sich versunken im Wartezimmer, die Zigarette in seiner Hand glimmte vor sich hin, ohne dass er daran zog. Rummenigge weinte. Dann endlich die Entwarnung. Der Freund hatte nur leichte Frakturen an Oberarm und Knöchel sowie eine Gehirnerschütterung erlitten. Trotz der beruhigenden Kunde vom Arzt wachte Paul Breitner die ganze Nacht am Krankenbett. Als Uli Hoeneß am nächsten Tag erwachte, fragte er: »Wie ist das Länderspiel ausgegangen?«
Am Sonntag darauf wurde der Bayern-Manager ins Klinikum Großhadern in München verlegt, wo er sich rasch erholte. Körperlich jedenfalls. Und wie war es mit der Psyche? Anfangs dachte er, er könne bewusster und ruhiger leben, mit einem gestärkten Blick für das Wesentliche. »Ich habe überlebt, gestorben ist der Sonnyboy, der locker in den Tag hineingelebt hat und vor allem ans Geschäft und ans Geld dachte.« Später meinte er dann: »Ein anderer Mensch? Andere Werte? Ja, am Anfang nimmst du dir das vor. Doch dann merkst du: In diesem Job wirst du schnell wieder zum alten Hektiker.«
Kaum genesen, trieb der »alte Hektiker« seine Bayern sofort wieder mit dem gewohnten Tempo an. In der Meisterschaft hatte in dieser Saison zwar der HSV die Nase vorne, dafür landete zum ersten Mal nach elf Jahren wieder einmal der DFB-Pokal im Trophäenschrank an der Säbener Straße. Und kurz darauf, am 16. Mai 1982, sollte der ganz große Triumph folgen: In Rotterdam wartete das Team des englischen Meisters Aston Villa im Endspiel um den Europapokal. »Mit gerade 30 Jahren stand Uli Hoeneß kurz vor der Vollendung seines beruflichen Tuns«, schrieb Thomas Hüetlin. »Und der junge Manager ahnte, dass eigentlich nichts schiefgehen konnte. Der Mann, der noch immer so aussah wie ein altdeutscher Sagenheld, fühlte sich einmal mehr vom Glück geküsst. Sein größtes Glück war, dass er überhaupt noch am Leben war.« Die Gegner auf dem Weg ins Finale – Universitatea Craiova im Viertel- und ZSKA Sofia im Halbfinale – waren wenig namhaft und nicht sehr spielstark gewesen, und mit Aston Villa schien ebenfalls eine machbare Aufgabe zu warten. Das Erwachen war bitter. Die Bayern dominierten das Geschehen und hatten etliche Chancen, doch das Spiel entschieden die Engländer durch einen in der 67. Minute erfolgreich abgeschlossenen Konter mit 1:0 für sich.
Durchstart zu einer Runderneuerung
Der Schock saß tief, und die Bayern fielen in ein Loch. Doch für eine tiefergehende Besinnung nahm sich der vielbeschäftigte Bayern-Antreiber erwartungsgemäß kaum Zeit. Rasch befreite er sich aus der Entsetzensstarre und arbeitete mit noch größerem Eifer an der unübersehbar notwendig gewordenen Auffrischung des Bayern-Kaders. Atemberaubendes Tempo beherrschte weiterhin seinen Alltag. Unentwegt war er auf Achse, wobei er kleine Flugzeuge mied, denn von dem Unglück war ein mulmiges Gefühl zurückgeblieben. »Bei meinem ersten Linienflug nach dem Absturz in einer Linienmaschine nach Zürich schlug der Blitz ein«, erzählte er. »Ich dachte: Am besten fliegst du nie wieder.« Daran war aber gar nicht zu denken. »Dann hätte ich meinen Job an den Nagel hängen können.« Uli Hoeneß flog weiter und lernte, mit Risiken zu leben, privat und beruflich. »Ich habe damals wie wild an der Börse zu spekulieren angefangen, in der Überzeugung, dass mir nun gar nichts mehr passieren könnte.« Er verlor viel Geld – und gab bald darauf auch als Manager Millionen aus, die seine Bayern damals gar nicht hatten.
Noch vor Ablauf der enttäuschenden Saison 1982/83, in der immer weniger Zuschauer den Weg ins Olympiastadion fanden, entschied sich Uli Hoeneß für einen Umbruch. Für die neue Spielzeit verpflichtete er seinen ehemaligen Lehrmeister Udo Lattek als Nachfolger des kraftlos gewordenen Pal Csernai. Und als Ersatz für Regisseur Breitner, der seine Karriere beendete, holte er den so teuren wie spielstarken Dänen Sören Lerby. Die Bayern hatten großes Glück, dass sie die für Lerby nötigen Millionen überhaupt aufbringen konnten. »1982 waren wir mit fünf Millionen Schulden am Tiefpunkt«, berichtete Hoeneß. Rettung nahte durch einen vermögenden Wurstfabrikanten, der den Verein bereits seit 1961 als Mitglied des Verwaltungsbeirates unterstützte: Rudolf Houdek. »Auf zwei Millionen kommt’s jetzt auch nicht mehr an«, soll Houdek laut Hoeneß lässig geäußert haben. Die Verpflichtung des
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