Das Prinzip Uli Hoeneß
preis.« Nach dem Erfolg in der Champions League 2001 hätten die Bayern-Macher verdrängt, dass der Titel nicht mit Eleganz, sondern mit Kampf und einem Gutteil Glück zustande gekommen war. »Die Folgen sind fatal: Die Selbstüberschätzung, man habe nun die spielerischen Mittel, das Publikum permanent mit einem unterhaltsamen Spektakel zu beliefern, überfordert seither die Profis.«
Uli Hoeneß blieb nicht ganz taub gegenüber solchen Vorhaltungen, meinte gar recht kleinlaut: »Ich habe keine Vision, dass ich Real Madrid als populärste Fußball-Mannschaft ablösen muss.« Falls man verliere, würde »nichts« passieren. »Es wäre Weltklasse, wenn wir weiterkämen. Aber eine Niederlage gegen diesen Mythos«, fügte er hinzu, »könnte man erklären.« Mit 1:1 und 0:1 ging die Auseinandersetzung, die der unvergleichliche Zidane mit einem feinen Linksschuss entschied, sehr knapp aus, und Uli Hoeneß wollte seine Bayern gar als »die bessere Mannschaft« gesehen haben. Den Traum vom schönen Spiel des »weißen Balletts« hielt er nun aber für endgültig ausgeträumt. »Das ist schiefgegangen. Ich habe mich in diesen Wahn treiben lassen, zu glauben, jetzt auch noch den Gegner niederspielen zu müssen.« Dass man bei der Kür ehrenvoll gescheitert war, konnte er verkraften, nicht aber, dass man dann auch noch die Pflicht – den Meistertitel 2004 – leichtfertig verspielte.
Es war wieder einmal die Zeit für einen Trainerwechsel gekommen. Nach dem erfolglosen Jahr 2004 am Ende der Hitzfeld-Ära schaffte Felix Magath als erster Trainer überhaupt zweimal hintereinander das Double aus Meisterschaft und Pokalsieg. Der Neue hatte mit tänzerischer Eleganz nichts am Hut, sodass die vor allem auf der Torgefährlichkeit eines Roy Makaay beruhende Fortsetzung der Münchner Erfolgsgeschichte eher nüchtern denn begeisternd ausgefallen war. Uli Hoeneß focht es nicht an. »Meine Frau sagt immer, wenn sie mich schmunzeln sieht, weiß sie, wie glücklich ich bin.« Und er war glücklich, als Magath seinen ersten Titel bereits am 31. Spieltag hatte feiern können. »Für mich bedeutet die frühe Meisterschaft den Gewinn von Lebensqualität«, hatte er sich über die Aussicht auf einige zusätzliche Wochen ohne Nervosität und Anspannung gefreut. Weniger erfreut war er freilich darüber, dass auch Magaths Pragmatismus nur für nationale Trophäen reichte, auf internationaler Ebene vermochte er die hochgesteckten Erwartungen ebenfalls nicht zu erfüllen: Wieder kam das »Aus« vorzeitig, einmal im Viertelfinale (gegen den FC Chelsea), einmal im Achtelfinale (gegen den AC Mailand).
Was fehlte den Bayern, dass sie auf europäischem Parkett nicht nur nicht schön, sondern selbst unschön viel zu selten siegen konnten? War es vielleicht ein Mangel an Siegermentalität? Früher hatten ein Beckenbauer, ein Breitner und ein Hoeneß dem Team die absolute Gewinnsucht eingeimpft, und als Siegesgarant hatte man ein mit der Zuverlässigkeit einer programmierten Tormaschine operierendes Phänomen namens Gerd Müller. Das Phänomen Müller hatte sich dann trotz solcher Spitzenstürmer wie Rummenigge, Elber oder Makaay nicht mehr wiederholt, und Typen mit dem absoluten Siegeswillen waren weit spärlicher gesät. Nach dem Abschied Effenbergs, der allgemein neben Torwart Kahn als der »Macher« des Triumphs von 2001 betrachtet wurde, hatten sich viele Kritiker mit der Bemerkung gemeldet, dass den Bayern seither ein »Leader« dieser Qualität abgehe. Das mochte richtig beobachtet sein – aber war es das allein?
Siegermentalität, wenigstens in der Bundesliga, hatten die Bayern auch weiterhin bewiesen, wie eine Statistik zeigt. In den sechs Spielzeiten von 1999/2000 bis 2004/05 landeten sie im Schnitt auf Rang 1,5. Gemessen an den sportlichen Leistungsdaten – Teamfertigkeiten wie die Qualität langer und kurzer Pässe, erfolgreich bestrittene Zweikämpfe, Torquote – kamen sie jedoch im Durchschnitt lediglich auf einen Ranglistenplatz von 3,6. Das heißt: Die Bayern waren im Prinzip stets erfolgreicher, als sie es gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit eigentlich sein durften. So etwas wie eine Siegermentalität machte also offensichtlich den Unterschied. Die war also durchaus weiterhin vorhanden, nur: In Anbetracht der spielerischen Qualität reichte sie nur für die Bundesliga. Kurz: die Bayern-Mannschaften waren schlicht und einfach zu schlecht, um auch auf europäischer Ebene die Ansprüche erfüllen zu können, die Hoeneß und
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