Das Prinzip Uli Hoeneß
erlaubten, hätte man wohl als recht zuverlässigen Messwert für das Ausmaß des Kummers die Gewichtszunahme des Managers heranziehen können. Je häufiger der Kopf des Managers sich rötete, desto enger wurde die rote Stadionjacke und desto gefährlicher der darin eingespannte Mann; und wenn die Nähte schier zu platzen drohten, stand die Explosion des Managers und der nächste Trainerrauswurf kurz bevor.
Irgendwann wurde es für den gestressten Bayern-Manager zu einer gewohnten Übung, über die Winterpause mit einer Abmagerungskur gegenzusteuern. So war er etwa im Januar 1997 »richtig stolz drauf«, acht Kilo abgespeckt zu haben. Einigermaßen frustriert war er allerdings, als er bei einem Gespräch mit dem Grünen-Politiker Joschka Fischer feststellen musste, dass dieser ihn locker überboten hatte: Fischer hatte 21 Kilo abgenommen, seit er im August 1996 seine Ernährung umgestellt und mit dem Marathon-Training begonnen hatte, und er sollte in den folgenden Monaten seinen Abmagerungserfolg noch auf erstaunliche 40 Kilo steigern. Von solchen Triumphen über die Körperfülle konnte Uli Hoeneß nur träumen.
Die herausragende Fischer-Quote erreichte der Bayern-Manager nie, aber er konnte seine Abmagerungserfolge immerhin durch einen geradezu wettkämpferischen Ehrgeiz deutlich steigern. Anfang 2004 wettete er mit den Spielern Hassan Salihamidzic und Jens Jeremies, dass er bis zum 30. Juni des Jahres von 111 auf 97 Kilo abspecken werde. Er nahm die Sache nicht ernst und kein Gramm ab. Daraufhin bat er um eine zweite Chance und verdoppelte die Wette. Die Spieler hätten gesagt: »Manager, Sie können mit uns wetten, was Sie wollen, wir gewinnen sowieso.« Hoeneß nahm die Sache zunächst abermals nicht ernst, hatte bis Ende Oktober wiederum kein Gramm abgenommen. »Dann aber«, so Hoeneß, »wurde in einer Fotoserie der ›Süddeutschen Zeitung‹ mein Golfschlag analysiert – und da hing mir der Bauch bei jedem Schlag noch mehr über den Gürtel. Das war für mich der Auslöser, richtig anzufangen, denn ich wollte am 3. Januar – bis dahin lief die Wette – diese 97 Kilo haben.« Und so hungerte er und joggte Kilo um Kilo herunter, während des Weihnachtsurlaubs in Lenzerheide lief er täglich um den Heidsee herum. An Sylvester war er bei 98 Kilo angekommen – fast geschafft! Schließlich kam der 3. Januar. »Für zehn Uhr war das Wiegen verabredet. Ich hatte noch gedacht, wenn ich es nicht schaffe, muss ich mich in der Nacht in die Sauna setzen und heiße Bäder nehmen. Aber ich habe es geschafft und war, als ich mich morgens zu Hause gewogen habe, bei stolzen 95,8 Kilo. Ich fuhr zum Training und wollte zum Wiegen – und bin fast verrückt geworden, weil Magath den Termin auf 16 Uhr verlegt hatte. In meiner Not habe ich den Masseur, den Assistenztrainer und unseren Pressesprecher als Zeugen ins Trainingszentrum genommen, habe mich gewogen und ein Protokoll darüber machen lassen – und bin anschließend essen gegangen. Das war das beste Hühnerfrikassee meines Lebens.«
Ein Vierteljahr später hatte Hoeneß die 100-Kilo-Grenze bereits wieder erreicht und bald darauf deutlich überschritten. Und so führte er seinen Kampf weiter, in Krisen wachsend und bei Erfolgen wieder schrumpfend, und der FC Bayern blieb, was Hoeneß isst.
Immerhin wurde der passionierte Anwalt der Fleisch- und Wurstindustrie im Laufe der Zeit ein wenig ernährungsbewusster. Im August 2008, als er der Presse im Zuge einer von dem neuen Trainer Jürgen Klinsmann angeregten Ernährungsrevolution die eben eingeführten Kochkurse für Bayern-Spielerfrauen vorstellte, meinte er in einem erstaunlichen Anfall von Selbstkritik: »Wenn ich daran denke, dass wir damals morgens um elf Schwartenmagen gegessen und trotzdem gewonnen haben, finde ich es unvorstellbar. Heute wäre das nicht mehr möglich.« Zum neuen ganzheitlichen Ernährungskonzept des FC Bayern München erläuterte er: »Es ist absolut nichts einzuwenden gegen die Bohnensuppe von Frau Lucio, aber die Ernährung sollte ausgewogen sein.«
Selbst die Fans wollte Hoeneß mit neuen Angeboten beglücken. Neben Bier und Soft-Drinks könnte in der Allianz Arena bei Heimspielen dann auch Milch angeboten werden. »Der FC Bayern steht immer für ›no limits‹. Ich persönlich hätte nichts dagegen«, sagte ein entspannter Manager, der nicht übermäßig übergewichtig wirkte. Eine souverän errungene Meisterschaft lag nicht lange zurück, und Hoeneß war zuversichtlich, mit dem
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