Das Prinzip Uli Hoeneß
sich mit der Begründung gerechtfertigt, es solle ihm niemand vorwerfen, dass er nicht gelebt habe. Enkel Uli zeigte sich, abgesehen vom Rauchen, begeistert von Opas Lebensmotto. Die Lebensqualität, so sein Credo, müsse auch und gerade beim Sportler gewahrt bleiben, denn Spaß und Muße seien letztlich leistungssteigernder als jeder Verzicht. »Wenn einer nur Müsli isst, dann hat der keine Lebensqualität und ist am Ende auch nicht kreativ. Wenn ich diese Ökologen sehe in diesen Fernsehdiskussionen, die kein Fleisch essen und dann darüber debattieren – die sehen auch alle so aus! Die sind immer gegen alles und gehen zum Lachen in den Keller.« Schon mit seinem Bruder Dieter hatte er in dieser Hinsicht immer Probleme gehabt. Der aß nämlich kein Fleisch. »Nichts schmeckte dir«, warf er ihm einmal vor. »Kein Fleisch, keine Wurst – in einer Metzgerfamilie eine Katastrophe!« Deswegen hat der Dieter kaum etwas auf den Rippen gehabt, und weil der Wenigesser von allen Fußballkumpels nur »der Dürre« genannt wurde, gaben ihm die Eltern jeden Tag ein Extrageld, damit er sich beim Bäcker ein paar Hörnchen holen konnte. Trotz fleischloser Ernährung wurde aus dem großen Schlaks schließlich doch noch ein wuchtiger Mittelstürmer. Und später, als Dieter Hoeneß nach dem Ende der Karriere figürlich noch gut in Form blieb, Uli hingegen ständig mit Gewichtsproblemen zu kämpfen hatte, rächte sich der kleine Bruder für die in der Kindheit erlittenen Hänseleien. Auf die Frage nach der größten Schwäche seines Bruders Uli antwortete er: »Er isst zu viel.«
Uli Hoeneß kann nicht nur an Meistertiteln nicht genug bekommen – sondern auch an Bratwürsten und anderen Fleischwaren. Er ist weniger ein Gourmet, ein Feinschmecker und kundiger Genießer raffinierter Speisen, sondern eher ein Gourmand, ein Leckermaul mit fehlender Beherrschung am gedeckten Tisch. Der Mensch ist, was er isst, lautet ein Spruch, und man kann Hoeneß denn auch seine Freude am ausgiebigen Konsum von Fleisch und Wurst deutlich ansehen. Noch größerer sozialpsychologischer Nährwert steckt wohl hinter der These: Der Mensch ist, wie er isst. Einen Lustesser wie Uli Hoeneß stimmt schon der Anblick einer dampfenden (Fleisch-)Speise fröhlich. Und vielleicht ist es sogar möglich, an der Art, wie ein Mensch sich ein Essen aussucht, charakterliche Merkmale abzulesen. Auf diesen Gedanken kam jedenfalls der Journalist Roland Zorn, als er einmal Gelegenheit hatte, den Bayern-Manager beim Einkauf an der Feinkosttheke zu beobachten. »Was er will, sieht er sofort«, stellte er fest. »Was nach seinem Geschmack gut ist, hat er rasch beisammen.« Schnörkellos, schnell und zupackend gehe er vor; und diese Zielsicherheit und Entschlussfreudigkeit, schloss er, zeichne den Tatmenschen Uli Hoeneß auch als Bayern-Manager aus. Häufig verband der das Nützliche mit dem Angenehmen, Verhandlungen aller Art führte er am liebsten im Restaurant, wo er dann immer auch gerne kräftig zugriff; hätte es den Begriff »Arbeitsessen« nicht schon gegeben, so hätte er ihn wohl erfinden müssen. Ab und an ließ er Produkte aus seiner eigenen Herstellung auftischen. Als besonders dankbarer Gast erwies sich bei so einer Gelegenheit der voluminöse Bayer-Manager und Vielesser Reiner Calmund. »Uli, ich muss dir sagen«, rief er beinahe enthusiastisch aus, »die Würstchen sind hervorragend.«
Uli Hoeneß ist aber nicht nur ein Lust-, sondern vor allem ein Frustesser. »Wenn wir verloren haben«, gestand er einmal, »kann ich mir hundertmal vornehmen: Heute esse ich nichts. Aber sobald ich in den Bus eingestiegen bin, haue ich mir dort immer so ’n paar Dinger rein. Dann geht es mir kurzfristig besser. Danach aber ärgere ich mich doppelt: über das Spiel und über mein Gewicht.«
Hoeneß war einst ein durchtrainierter Athlet mit einem ansehnlichen Waschbrettbauch. Seine ersten Jahre als Manager blieb er noch schlank und rank, irgendwann reichte aber der wöchentliche Kick mit den alten Kumpeln und Angestellten des FC Bayern nicht mehr, um die Figur zu halten. Das Essen wurde ihm immer mehr zur klassischen Ersatzbefriedigung: Wenn er sich nicht durch Erfolge psychisch aufladen konnte, dann benötigte er wenigstens den physischen Konsum. Menschen mit solch schier unstillbarem Ehrgeiz sind offensichtlich süchtig nach permanenter Einverleibung, da sie nur sehr schwer richtig satt werden können. Vor allem, wenn sich die Bayern eine ihrer zahlreichen Krisen
Weitere Kostenlose Bücher