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Das Programm

Titel: Das Programm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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Fall können wir eine Ausnahme machen.«
    Die Wohnung von Eric und Alex lag weit draußen in der West Side. Sie war groß, aber renovierungsbedürftig. Offenbar unterlag sie der Mietpreisbindung, weshalb der Vermieter kein Interesse daran hatte, sie instand zu setzen. Die Möblierung war spärlich, und es herrschte die übliche studentische Unordnung – was ihnen aber allen beim Eintreten auffiel, waren die Wände.
    Vier oder fünf große Leinwände hingen in dem Zimmer, die alle petrochemische Fabriken oder Ölraffinerien zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten zeigten. Rohre, Kräne, Zylinder, Türme und Schornsteine bildeten, aus ungewöhnlichen Blickwinkeln dargestellt, komplizierte geometrische Muster. Orangefarbenes Glühen, kräftige rote Flammen und grellweiße Halogenscheinwerfer vermittelten eine Ahnung von den geheimnisvollen chemischen Prozessen, die im Herzen dieser Anlagen stattfanden. Insgesamt vermittelten diese Bilder den Eindruck einer eigenartigen Schönheit.
    »Wahnsinn«, sagte Lenka. »Von wem sind die?«
    »Von mir«, sagte Alex.
    »Von dir?« Lenka wandte sich ihm zu, und es war deutlich zu erkennen, dass sie ihr Bild von ihm revidierte. »Ich wusste gar nicht, dass du malst.«
    »Nach dem College habe ich ein paar Jahre versucht, als freier Künstler zu leben. Ich hatte einige Ausstellungen, habe ein paar Bilder verkauft, doch leider hat es nicht zum Leben gereicht. Und der Gedanke, in Armut zu leben, hat mir nicht gefallen. Deshalb bin ich hier.«
    »Jammerschade«, sagte Lenka.
    Alex zuckte die Achseln. »Deshalb sind wir doch alle hier, oder?« Das kam ein bisschen trotzig heraus: Offenbar hatte Lenka einen wunden Punkt berührt.
    »Tut mir Leid, du hast wahrscheinlich Recht. Aber es ist ein merkwürdiges Sujet. Warum diese Fabriken?«
    »Ich komme aus New Jersey«, sagte Alex. »Da haben wir ‘ne Menge Ölraffinerien. Als Kind habe ich sie immer aus dem Autofenster gesehen, wenn wir vorbeifuhren. Ich war fasziniert. Später, auf dem College, wollte ich sie dann malen. Es ist eine Art Zwang geworden.«
    »Sie sind einfach super«, sagte Lena und ging in dem Zimmer umher. »Erzähl mir nicht, dass das hier auch New Jersey ist?«
    Sie war vor einem besonders dramatischen Bild stehen geblieben: Dort wuchs ein solches Monster von Rohrleitungen und Stahlgerüsten aus dem Sandboden auf und warf den Widerschein seiner Flammen in einen weiten Wüstenhimmel. Der Gegensatz zwischen der kargen, lebensfeindlichen Landschaft und den hochtechnischen Konstruktionen, das Wechselspiel zwischen natürlichem und künstlichem Licht rief eine Wirkung von exotischem Reiz hervor.
    »Das ist die Industriestadt Jubail in Saudi-Arabien«, sagte Alex. »Ein chemisches Unternehmen hat meine Arbeiten gesehen und mir die Reise finanziert. Ich habe jedes Bild verkauft, das ich dort gemacht habe, abgesehen von diesem.«
    »Das überrascht mich nicht«, sagte Lenka.
    »Ich wünschte, ich hätte mehr behalten.«
    »Und an mich denkt niemand! Ich habe das Gefühl, in einer Scheißfabrik zu leben«, sagte Eric. »Was zum Teufel hast du gegen Sonnenblumen?«
    »Banause«, murmelte Alex.
    »Mir gefallen sie«, sagte Duncan. »Hast du schon mal eine Brauerei gemalt?«
    »Noch nicht«, sagte Alex. »Aber wenn ich dich recht verstehe, willst du ein Bier?«
    »Ich dachte schon, du würdest nie fragen.«
    In den folgenden Monaten trafen sich die sechs an mehreren Abenden in der Woche, um den Stoff gemeinsam aufzuarbeiten, wobei sie sich meist im Apartment von Eric und Alex trafen. Dabei zeigte sich rasch, wer wie viel wusste. Eric schien alles, was man ihm vorsetzte, sofort zu verstehen. Für Duncan war es ein einziges hoffnungsloses Ringen. Alex und Chris erarbeiteten sich die Dinge irgendwann, Chris mit etwas mehr Mühe als Alex. Ian tat so, als verstünde er alles, und tatsächlich begriff er die Prinzipien auch sehr rasch. Doch sobald es um die mathematischen Details ging, erwies er sich als hoffnungsloser Fall. Das war ein Geheimnis, das er höchst geschickt vor allen Kursteilnehmern bis auf die Mitglieder der Arbeitsgruppe zu verbergen wusste, und die bemühten sich nach Kräften, ihn zu decken. Lenka schien ebenso rasch zu begreifen wie Eric, obwohl sie die Neigung hatte, bei Problemen, die den anderen ganz einfach vorkamen, mit weit hergeholten Lösungen aufzuwarten. Die Gruppenmitglieder halfen einander und kamen gut durch, mit Ausnahme des Debakels, das Duncan am dritten Tag erlebt hatte.
    Alex war nicht der einzige

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