Das Programm
Andeutung eines Lächelns spielte um seine Mundwinkel. »Am Columbus Circle haben wir nach einem Taxi Ausschau gehalten, und dann habe ich gesagt, ich bring sie zu Fuß zu ihrer Wohnung.«
»Im Village?«
»Genau.«
»Aber das sind ein paar Kilometer!«
»Stimmt, aber es kam uns gar nicht so weit vor. Ich meine, es schien ewig zu dauern, aber wir wurden nicht müde oder so. Es war sehr romantisch. Dann waren wir endlich da, und sie hat gesagt, ich soll erst mal mit hochkommen. Ich könne doch nicht gleich den ganzen Weg zurückgehen.«
»Und dann?«
»Und dann …« Duncan lächelte.
»Du hast die verdammte Pflicht, es mir zu erzählen.«
»Hab ich nicht.«
»Na gut, hast du nicht«, räumte Chris ein. »Aber das Wochenende hast du bei ihr verbracht, stimmt’s?«
»Es schien uns sicherer als in unserem Apartment.«
»Einleuchtend.«
»Habt ihr nicht gemerkt, dass ich nicht da war?«
»Nein, ich glaube nicht. Ich habe gedacht, du hockst in deinem Zimmer und schmollst oder so.« Chris nahm einen kräftigen Schluck Bier. Duncan und Lenka. Die Vorstellung gefiel ihm. »Glückwunsch«, sagte er.
»Danke. Aber wir wollen’s die anderen im Programm lieber nicht merken lassen. Man weiß nie, wie Calhoun so was aufnimmt.«
»Zum Teufel mit Calhoun«, sagte Chris. »Aber in Ordnung, ich halt den Mund. Doch Ian merkt es bestimmt. Und Alex und Eric auch.«
»Das lässt sich nicht ändern«, sagte Duncan. »Oh, übrigens, Lenka sagt, es tut ihr Leid. Das, was sie über Tamara gesagt hat.«
»Schon in Ordnung.«
»Sie sagt, sie bleibt bei dem, was sie gesagt hat, nur hätte sie es nicht sagen sollen.«
Chris lächelte. »Sag ihr, auch das ist in Ordnung.«
5
Der Sommer kam. Juni und Juli waren heiß in New York, so heiß, dass es unangenehm war, sich draußen aufzuhalten. Die Engländer waren nicht darauf eingestellt: Ihre Wollstoffe von Marks & Spencer eigneten sich nicht für das Klima. Die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass sie nach jedem Fußweg von der Länge eines Häuserblocks in Schweiß gebadet waren. Im Hörsaal herrschte köstliche Kühle, aber in der U-Bahn war es wie im brasilianischen Regenwald. Die Klimaanlage der Lexington-Linie war einem Waggon voll schwitzender Pendler nicht gewachsen. Manchmal zwängten sich Chris, Duncan und Ian an der 42. Straße hinaus und stürzten in einer Bar an der U-Bahn-Station ein kaltes Bier hinunter, bevor sie zur zweiten Etappe in ihren unterirdischen Regenwald zurückkehrten. Natürlich schaffte es Lenka, die ganze Zeit kühl und frisch auszusehen. Dabei kleidete sie sich in einer Weise, die die argwöhnischen Blicke von Abby Hollis auf sich zog, aber unterhalb der Eingreifschwelle blieb.
Über Mangel an Arbeit konnten sie nicht klagen. Neben Walderns Kapitalmärkten, die ein unerschöpflicher Gegen stand zu sein schienen, standen Kurse in Unternehmensfinanzierung, Buchhaltung, Theorie der Außenwirtschaft, Kreditwürdigkeitsprüfung und Ethik auf dem Programm. Aus allen Unternehmensbereichen von Bloomfield Weiss kamen Leute, um ihnen Vorträge zu halten – aus Tokio und Chicago, von Global Custody – der Abteilung für Abrechnung und Verwahrung von Wertpapieren – bis zur Abteilung für Aktienderivate. Das Tempo war nicht immer gleich, aber der Druck ließ nie nach – dafür sorgte George Calhoun.
Zu seiner großen Überraschung stellte Chris fest, dass er Gefallen an dem Programm fand. In dem Maße, wie ihm die Konzepte klarer wurden und sich zu einem Gesamtbild zusammenfügten, wuchs sein Interesse. Mit besonderer Aufmerksamkeit lauschte er den Vorträgen der Wertpapierhändler. Diese Veranstaltungen waren bei den Trainees sehr beliebt, denn wenn Bloomfield Weiss für etwas stand, war es der Wertpapierhandel. Das Jonglieren mit Dollarmilliarden, die großspurigen, harten Typen mit ihrem Machovokabular, dieser Mischung aus Sex und Gewalt – das alles war für einen bestimmten Typus von Trainees äußerst attraktiv. Doch Chris hatte andere Gründe. Ihn faszinierte, wie sich die Beziehungen zwischen Märkten veränderten, wie sich Angebot und Nachfrage in der Kursbewegung niederschlugen und wie man Risikokapital so einsetzte, dass die Verluste begrenzt wurden und sich die Gewinne frei entwickeln konnten. An den vollmundigen Geschichten von Cash Callaghan, einem Spitzenverkäufer des Londoner Büros, der damit prahlte, wie er »diese Papiere gekitzelt und hochgejubelt« hatte, war Chris weniger interessiert als an den kühlen Analysen von Seymour
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