Das Programm
Tanner, dem neunundzwanzigjährigen Star der Eigenhandelsabteilung, von dem es hieß, er habe im Vorjahr zweihundert Millionen Dollar für die Firma verdient. Zum ersten Mal entwickelte Chris eine Art Zugehörigkeitsgefühl zu Bloomfield Weiss. Es gab da eine Aufgabe, der er sich gewachsen fühlte – wenn man ihn ließ.
George Calhoun war bestrebt, den Konkurrenzdruck zu erhöhen. Er wollte seine Trainees anheizen, sie hungrig machen, die Ziele möglichst hochstecken. Daher führte er eine Rangliste ein, von eins bis sechzig oder vielmehr bis achtundfünfzig – seit dem Fortgang von Denny Engel und Roger Masden. Die Rangliste beruhte auf den zusammengefassten Ergebnissen der verschiedenen Tests, die im Laufe des Programms durchgeführt wurden. Um für ein bisschen Pfeffer zu sorgen, hatte er eine dicke rote Linie zwischen Nummer fünfundvierzig und Nummer sechsundvierzig gezogen, dem ominösen untersten Viertel. Außerdem verkündete er, die ersten drei Trainees würden am Ende des Programms einen Bonus erhalten.
Auf Nummer eins war Rudy Moss. Auf Nummer zwei Eric Astle. Und auf Nummer drei – sehr zum Verdruss von Calhoun – stand Lenka. Am anderen Ende krebste Duncan so um Platz fünfzig herum, mit anderen Worten, im letzten Viertel, aber immer noch in Sichtweite des rettenden Ufers. Nach seinem schlechten Abschneiden in Anleihenrechnung stand Ian auf Platz zweiundvierzig, arbeitete sich aber kontinuierlich nach oben. Alex war zwei Plätze besser als vierzig, und Chris befand sich zu seiner großen Überraschung auf Platz fünfundzwanzig. Trotz der unterschiedlichen Leistungsstände – oder vielleicht gerade deshalb – blieb die Arbeitsgemeinschaft zusammen. Auf Eric und Lenkas Erfolg waren sie alle stolz, und alle wollten sie dafür sorgen, dass Duncan und Alex auf sichere Plätze kamen.
Allerdings gab es einen Kurs, der Chris überhaupt nicht zusagte. Ethik. Ian nannte ihn Unternehmensheuchelei, und der Name passte. Der Kurs war der zynische Versuch, die Flecken auf der weißen Weste zu tilgen, die Bloomfield Weiss seit dem Bausparkassenskandal in Phoenix und der Verurteilung der beiden mit Drogen dealenden Wertpapierverkäufer erlitten hatte. Der Kontrast zwischen Martin Krohl, der den Ethik-Kurs gab, und den wechselnden Managern, die ihnen in allen Einzelheiten berichteten, wie sie ihre Kunden abzockten, hätte etwas Komisches haben können, wenn der Ethik-Kurs nicht mit einem solchen Bierernst durchgezogen worden wäre. In dieser Prüfung schnitt Ian als Bester ab, was keine große Überraschung war. Er war intelligent, auf dem Gebiet gab es weit und breit keine Zahlen, und sein angeborener Zynismus kam der Art und Weise, wie der Gegenstand bei Bloomfield Weiss gelehrt wurde, entgegen. Lenka fiel durch. Sie erklärte, sie habe das Bedürfnis gehabt, einige ihrer Antworten »klarzustellen«, und diese Klarstellungen hätten Krohl wohl nicht gefallen. Es war nicht ohne Ironie, dass Ian in einer Ethik-Prüfung von Bloomfield Weiss vorne lag und Lenka zu den Letzten gehörte. Dies entging auch Chris und Duncan nicht, die sich beide ein bisschen schämten, so gut abgeschnitten zu haben.
Die Beziehung von Duncan und Lenka entwickelte sich prächtig. Aber sie handhabten die Geschichte sehr professionell. Im Unterricht oder vor anderen Trainees ließen sie sich nicht das Geringste anmerken. Sogar in Gesellschaft von Eric, Alex, Chris und Ian benahmen sie sich eher wie gute Freunde als wie ein Liebespaar. Saßen sie in einer Bar oder einem Restaurant nebeneinander, dann gab es viel gutmütige Neckerei, aber nichts von jener alle anderen ausschließenden, sich selbst genügenden Intimität, mit der ein Pärchen häufig einen Freundeskreis empfindlich stören kann.
Doch sie verbrachten viel Zeit miteinander. Gewöhnlich blieb Duncan bei Lenka im Village und kam oft erst nach Mitternacht nach Hause – an den Wochenenden meist gar nicht. Am Wochenende des Memorial Day fuhren sie zusammen nach Cape Cod. Obwohl Duncan nicht viel Schlaf bekam, blühte er sichtlich auf. Er war glücklich, und das Selbstmitleid in Sachen Ausbildungsprogramm, das Chris und Ian allmählich auf die Nerven gegangen war, verschwand. Auch Lenka schien glücklich, allerdings war das bei ihr eher der Normalzustand. Ian fragte sich zwar gelegentlich, was sie an Duncan fand, doch selbst er konnte nicht leugnen, dass Duncan eine unwiderstehlich gute Laune verbreitete.
Abgesehen davon, war auch Ian kein Kind von Traurigkeit. Häufig zog er
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