Das Prometheus Mosaik - Thriller
diktiert von jenem Instinkt, der sie von den allermeisten Menschen abhob und für ihre Arbeit prädestinierte.
In ihrem Job musste man zuallererst lernen, seine Chancen zu erkennen und zu nutzen – und man musste lernen, die Geduld aufzubringen, auf solche Chancen zu warten; denn sie ergaben sich immer -auch wenn sie sich nur dem geübten Auge offenbarten.
Sie hatte dies und alles andere gelernt, nicht immer mühe- und nicht immer schmerzlos. Darum fluchte sie jetzt nicht und ärgerte sich nicht weiter, da sie nur halb verrichteter Dinge abziehen musste. Denn sie wusste, die eine Gelegenheit, die des einen Glück und des anderen Pech sein konnte, kam immer. Eine Lektion, die heute und auf ganz eigene Weise auch ›Katharina Lassing‹ gelernt hatte.
***
Sie stieß ihm die flache Hand vor die Brust, mit solcher Wut und Wucht, dass er im Flur ihrer Wohnung einen Schritt nach hinten stolperte und mit dem Rücken gegen die Tür prallte.
»Weißt du, was du bist?«, schrie Bine ihn an.
Theo wusste, die Frage war rhetorischer Art, und suchte nicht einmal nach einer Erwiderung.
»Bindungsunfähig bist du!«, warf sie ihm vor.
Womit sie wohl recht hatte.
Sie wollte noch mehr sagen, das sah Theo ihr an; er sah ihr sogar an, was sie noch sagen wollte. Doch behielt sie es für sich; solche Tiefschläge waren nicht Bines Art.
Das war einer der Gründe, weshalb Theo sie liebte. Oder zu lieben glaubte, in dem Sinn, dass er meinte, das Gefühl, das er für sie hegte, sei Liebe.
Du willst oder kannst nicht heiraten, weil du schon verheiratet bist – mit deiner Mutter nämlich!
Das wollte Bine sagen. Vielleicht nicht in diesen Worten, aber sinngemäß. Bine, das war Dr. Sabine Kogler, Kinderärztin mit Praxis in bester Lage, Tochter eines Ärztepaars, die nicht einfach der Familientradition folgend in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten war, sondern weil sie sich zur Ärztin berufen fühlte – noch etwas, das sie Theos Meinung nach miteinander verband.
Hätte Bine ihm wirklich alles an den Kopf geworfen, was sie sagen wollte, dann hätte sie es vielleicht nicht so gemeint, in jedem Falle hätte sie es nicht böse gemeint – wirklich unrecht hätte sie damit allerdings auch nicht gehabt.
Theo konnte seine Mutter nicht allein lassen, nicht mehr jedenfalls, als er es ohnehin schon tat. Aber er konnte sich nun einmal nicht mit ihr in dem großen Haus vor dem Rest der Welt verschanzen. Er arbeitete in diesem Rest der Welt, und manchmal lebte er auch ein bisschen darin. Zumindest gab er sich alle Mühe, das zu tun. Nicht immer – oder ehrlich gesagt, sehr selten – mit Erfolg.
Erfolg war ihm nur im Beruf beschieden. Und er hatte längst begonnen, sich damit abzufinden. Und zu begnügen.
Yash hatte Theo nach der jüngsten Krise mit Bine geraten, noch einmal mit ihr zu sprechen. Yash war der Einzige, der ihn gut genug kannte, um zu wissen, dass er Bine wirklich liebte, trotz seiner vollkommenen Unfähigkeit, dies zu zeigen. Vielleicht hätte auch noch seine Mutter diese Einschätzung geteilt, doch in ihrem Fall hatte Theo hin und wieder Zweifel, ob sie ihn überhaupt kannte.
Also war er wie ein Pennäler – und spätnachts, weil er wieder einmal viel zu lange gearbeitet hatte -bei Bine angetreten und hatte sie um eine Unterredung gebeten. In der Tat hatte er fast exakt diese Worte gebraucht. Sie hatte ihn eingelassen, und nach der Flasche Wein, die er mitgebracht und die Yash ausgesucht hatte, hatte der Abend im Bett geendet. Damit war Theo zufrieden gewesen, und er hatte ihre Beziehung wieder in Ordnung gewähnt. Doch das sah Bine eben etwas anders.
»Wie soll es jetzt weitergehen?«, fragte sie. »Deiner Meinung nach?«
»Na ja, langsam auf jeden Fall, würde ich sagen«, antwortete er ausweichend. Und sie verstand sehr wohl, was er damit meinte, besser wahrscheinlich als er selbst: Ihm reichte diese Form einer Beziehung, in der sie nicht einmal zusammenlebten.
Ihr nicht.
Sie warf ihn hinaus. Aus ihrer Wohnung. Aus ihrem Leben. Endgültig.
Während er durch die erwachende Stadt fuhr, rekapitulierte er die Nacht mit Bine. Sie hätte sicher gesagt, er analysiere sie – wie er alles im Leben analysierte -, um herauszufinden, wo der Fehler lag. Aber das brauchte er gar nicht zu tun, er kannte den Fehler – er war der Fehler. Dies war einer der seltenen Fälle, in dem nicht zwei Menschen schuld am Scheitern einer Beziehung waren.
Jetzt fuhr er heim, in jenes Haus, das vielleicht für immer sein Zuhause bleiben
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